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Unter­nehmens­demo­kratie

Lösung oder neuster Kniff zur kapitalis­tischen Gängelung?

aktualisiert: 03.06.2019 · Franziska Köppe | madiko

Im Gespräch zu Lebens- & Arbeitswelten mit Zukunft taucht wiederkehrend die Frage auf: Lohnt sich das?

Egal ob es sich dabei um Demokratisierung, Wetten statt Planen, Führen mit Sinn, Wandelmut und / oder Zukunftsrobustheit handelt – im Grunde fragt unser Gegenüber: Bringt das (mehr) Geld?

Im Erarbeiten der Sketchnotes für die Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?” vom 27. 10. 2015 beschäftigte uns vor allem die Haltung, die hinter diesem Anspruch steht. Was also ist Unternehmenserfolg?

Dieser Beitrag wurde von Gebhard Borck und mir am 19.12.2015 erstmals veröffentlicht.
Lesezeit ~ 12 Min.

Foto: Sketchnotes Sinnvoll Wirtschaften - Konzepte: Unternehmensdemokratie
Franziska Köppe | madiko

Über Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen? sprach man am Dienstag, den 27. Oktober 2015, im Café Central des Grillo-Theaters in Essen. In der von Deutschlandradio Kultur aufgezeichneten Sachbuch-Sendung „Lesart“ waren zu Gast die Autoren

Moderiert von Florian-Felix Weyh, Deutschlandradio Kultur, debattierten sie gemeinsam mit WAZ-Kulturchef Jens Dirksen darüber, ob die Zeit der allmächtigen Wirtschaftsbosse vorbei ist und wie viel Demokratie die Leitung eines Unternehmens verträgt.

Andreas Zeuch bat Franziska für die Unternehmensdemokraten, eine Doku inklusive Sketchnotes zu erarbeiten:

Sketchnotes: Autokratie versus Mitbestimmung / Lesart am 31.10.2015 im Deutschlandradio Kultur. Bild: cc Franziska Köppe | madiko

Sketchnotes: Autokratie versus Mitbestimmung / Lesart am 31.10.2015 im Deutschlandradio Kultur
[ 2015-12 Franziska Köppe | madiko ]

Je intensiver wir uns mit den Inhalten der Sendung beschäftigten, desto mehr drängten zwei zentrale Fragen ins Bewusstsein:

Was ist Unternehmenserfolg?
Beeinflusst die (individuelle) Antwort auf diese Frage
alle weiteren Antworten (und Fragen)?

Zur Beantwortung fassen wir 12 Jahre Studium der Betriebswirtschaftslehre (BWL) und über vier Jahrzehnte deren Anwendung in der Praxis knackig zusammen. Daraus formulieren wir unsere Antwort:

Die Quandts –
mit möglichst wenig Kapital viel Macht ausüben

“Verantwortung: Wer will, kann auch etwas anderes wollen.”

Sinngemäß zitiert von einem Theologen und Management-Berater eröffnete Florian-Felix Weyh den Abend mit dieser Äußerung. Damit spannte er das Diskussionsfeld um Erfolg in der Wirtschaft vom Willen zur Macht einzelner Aristokraten (Quandts) bis hin zu “Alle Macht für Niemand” (Unternehmensdemokraten). Letzteren sprach er den Willen zu, etwas im Wirtschaftssystem zu verändern. Wohingegen erstere mit dem bestehenden System eigene Interessen optimieren. Die zentrale Frage der Lesart war die nach dem erstrebenswerten Erfolg – geht es Unternehmern einzig um Gewinn-Maximierung oder ist da noch mehr?

Rüdiger Jungbluth stellt in seinem Sachbuch “Die Quandts. Deutschlands erfolgreichste Unternehmerfamilie” vier Generationen Unternehmerdynastie vor. Von den Anfängen im 18 Jahrhundert (Webereien) über die Tuchfabriken zu Zeiten der industriellen Revolution bis hin zum branchen-übergreifenden Firmen-Imperium, das die Quandts heute ihr Eigen nennen.

Insbesondere das unternehmerische Handeln Günther Quandts (1881 … 1954) war geprägt vom Bestreben, seinen Eigennutz und den seiner Familie zu maximieren. Seine Personalpolitik diente dem Bau und zur Sicherung des wirtschaftlichen Imperiums. Ein Ziel, das seinerzeit im Kaiserreich gesellschaftlich anerkannt und anstrebenswert war. Und die nachfolgenden Generationen verfolgten es konsequent weiter.

ZDF LobbyRadar: Einfluss der BMW AG auf die deutsche Politik

Das alles auf Kosten anderer: durch Ausbeutung ihrer Angestellten, Arbeiter und der Gesellschaft.

In der Geschichte haften Kinder für ihre Eltern.

Florian-Felix Weyh

Deutschlandradio Kultur

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Das ist für Nachkommen oft schwierig. Schließlich müssten sie sich freiwillig von liebgewonnenem Erbe trennen. Etwas, das offensichtlich bis heute schwerfällt.

Es ist fraglich, ob die philanthropischen Bemühungen der BMW Stiftung in einem ausgeglichenen Verhältnis zur Ausbeuterei stehen.

Dr. Andreas Zeuch

Unternehmensdemokraten

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Hinzu kommen persönliche Verstrickungen und familiäre Zusammenhänge, die Jungbluth im Buch nicht ausspart und auch in der Lesart angesprochen wurden – doch das ist eine andere Geschichte.

Allen, die mehr zu diesen Fragen wissen wollen, sei ergänzend zur Lesart das Gespräch zwischen Professor Rainer Mausfeld und Michael Krons (phoenix) empfohlen. Dort gehen sie der Frage auf den Grund, warum wir Menschen dazu neigen, die eigenen Interessen über die (Menschen)Rechte anderer zu stellen.

Ist unternehmerischer Erfolg durch Gewinn-Maximum definiert?

In der klassischen Betriebswirtschaftslehre gilt der Homo oeconomicus. Sein Handeln leitet stets die rationale Abwägung von Aufwand (den es zu minimieren gilt) und Nutzen (der höchste erlösbare Ertrag). In diesem Mechanismus (höchster Erlös abzüglich minimalster Aufwand) entsteht maximaler Gewinn.

Betrachtet man die damalige Situation, leuchtet das sofort ein: Die Klassische BWL hat ihre Anfänge in der beginnenden Industrialisierung Europas. Umwelt war genügend da. Märkte erschienen grenzenlos im Wachstumspotential und zugleich beherrschbar. Industrialisierung hing ab von Machbarkeit: Fand man die richtigen Produkte und Produktionsverfahren, erlangte man Marktmacht durch Massenproduktion. Es gab nur wenige begrenzte Ressourcen. Unternehmen waren zu (Gewinn)Zwecken mit den dafür notwendigen Mitteln organisiert und strukturiert. Unternehmer suchten ein möglichst reibungsloses und verlässliches Wiederholungsprogramm. Bestlösungen und Aufwände bedeuteten einfach Größenskalierung. Herrschafts- und Arbeitsprozess bildeten einen festen Verbund.

Bauern, die in die Städte abwanderten, gab es zahlreich. Sie waren einfache, anspruchslose, leicht ersetzbare und – aus Unternehmersicht – nur begrenzt einsetzbare Arbeitnehmer. Massenproduktionsmittel waren mechanisch und unflexibel. Statt pfeifenderweise ihre Arbeit zu verrichten, galt Zucht und Ordnung. Ausruhen, wenn man müde ist? Auf dem Feld noch einigermaßen selbstbestimmt war es – an einer (Dampf)Maschine oder einem Webstuhl nur im Takt des Produktionsmittels möglich. Hier galt Pünktlichkeit. Die gestrengen Fabrikordnungen unterwarfen die Menschen dem Rhythmus der Maschinen. Arbeit und Herrschaft vereinheitlichte der per Dekret allwissend kompetente Chef. Die autokratische Unternehmenskultur ein Spiegel der autokratischen Gesellschaftskultur des Abendlandes zu jener Zeit.

Fabrikordnung der Strohhutfabrik ‘Merz & Cie.’ (1887), Schweiz. Bild: copy Historische Vereinigung Wynental

Fabrikordnung der Strohhutfabrik ‘Merz & Cie.’ (1887), Schweiz
[ 1991 Historische Vereinigung Wynental ]

Ökonomie bedeutete, Arbeitsabläufe effektiv und zweckmäßig zu gestalten (Frederick W. Taylor), Herrschaft zu versachlichen (Max Weber) und den Apparat auf Nützlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität zu trimmen (Adam Smith). In diesen mechanistischen Unternehmenssystemen dominierte die Kombination aus Fachautorität mit Machtrationalität.

Das Unternehmensprogramm bestimmte das genutzte Potenzial. Um die Wirksamkeit des Apparats zu gewährleisten, kam man den Menschen (Chefs und Mitarbeitern) insoweit entgegen (z. B. durch Vereinfachung) als dass es dem Unternehmenszweck (= Gewinnmaximierung) möglichst wenig schadete. Vermutlich galt dies auch in den Tuchfabriken Emil Quandts’.

Interessanterweise definierte erst ein amerikanisches Gerichtsurteil von 1916 die Gewinn-Maximierung als oberste Maxime für Unternehmertum. Die Gebrüder Dodge verklagten seinerzeit den Automobil-Industriellen Henry Ford dazu, Unternehmensgewinne an seine Aktionäre auszuschütten, statt sie wie geplant im Sinne einer Corporate Social Responsibility als Preisnachlässe für Kunden sowie Investitionen in die Zukunftsrobustheit der Firma zu verwenden:

Ford meinte, da die Aktionäre in Dividenden bereits mehr zurückerhalten hätten, als sie an Investitionen leisteten, sei es gerecht, die Überschüsse den Arbeitern und Angestellten durch Lohnerhöhungen einerseits sowie der Allgemeinheit in Form von Preissenkungen andererseits zuzuwenden. Die Brüder Dodge, die 10% des Aktienkapitals besaßen, verlangten im Klageweg Auszahlung des Überschusses an die Aktionäre. […]

Das Gericht verurteilte Ford zur Zahlung einer Zusatzdividende und führte aus, man dürfe keine Verwechslung aufkommen lassen zwischen den Pflichten, die nach Fords Ansicht ihm und seinen Aktionären der Allgemeinheit gegenüber oblägen, und den Pflichten, die Ford gegenüber den Minderheitsaktionären zu erfüllen hätte. Eine business corporation werde in erster Linie zum Zwecke der Gewinnerzielung für die Aktionäre gegründet und betrieben.

Das Ermessen der Verwaltung umfasse lediglich die Auswahl der Mittel zur Erreichung dieses Zweckes, erstrecke sich aber nicht darauf, Veränderung an der Zielsetzung selber vorzunehmen, und eine Gewinnausschüttung an die Aktionäre zugunsten einer Verwendung für andere Zwecke zu unterlassen.

Quelle: Arndt Riechers
“Das Unternehmen an sich. Die Entwicklung eines Begriffs in der Aktienrechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts”
/J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, Kapitel 7, Seite 181f.

Wirtschaftswunder –
“Human Relations-Bewegung” verändert die Mittel zum Gewinn-Maximierungsziel

In den 50er Jahren erkannte man, dass das Zweck-/Mittel-Schema der Klassischen BWL in der Praxis widersprüchlich ist. Mit der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Märkte (Beschaffungsmarkt, Personalmarkt, Absatzmarkt usw.) konnte man die anerkannten Unternehmenszwecke nur noch unter der Berücksichtigung immer neuer Einflussfaktoren verfolgen. Es kommt zu Ressort-Streitigkeiten innerhalb der Betriebe. Der Wettbewerb der Betriebe untereinander steigt. Kundenwünsche in unternehmerische Entscheidungen mit einzubeziehen wird wichtiger. Die Neoklassische BWL gesteht sich ein: Befehl und Gehorsam erzeugen keine Lösungen für die Probleme des Lernens und der Motivation der Mitarbeiter.

Sie entwickelt aus dem mechanistischen Modell das “Sozialsystem Unternehmen”. Jedoch hält man weiterhin am klassischen Bild des “Zweck-Systems” fest. Es definiert die Teile des Betriebes als Mittel zum Zweck. Man erkennt, dass für Leistungsbereitschaft eine Bereitwilligkeit und Selbständigkeit des Verhaltens Grundvoraussetzung ist. Führende Vertreter der Forschung und Praxis beschäftigen sich mit Motivation als Spannungsfeld aus Wünschen und Hoffnung (Frederick Herzberg, Victor Harold Vroom) sowie Motiven und Bedürfnissen (Abraham Harold Maslow). Sie suchen Wege, um die Leistungsbereitschaft – im mechanistischen Denken verharrend – fremdsteuerbar zu machen.

Seither untersucht man Unternehmen unter psychologischen, soziologischen und philosophischen Aspekten hinsichtlich ihrer motivationalen Zusammenhänge von Strukturen und Verhalten. Für die Zweckmäßigkeit zieht man Bedürfnisse, Anreize, Motivationsprozesse und Einstellungen heran. Douglas Murray McGregor stellt dem homo oeconomicus (Typ X) den von selbständigem, freiwilligen, kreativen und verantwortungsbewussten Handeln geleiteten Typ Y gegenüber. Er erkannte an, dass soziale Beziehungen – in gewissen Grenzen – sonstige Mangel-Erlebnisse der Arbeit dämpfen können.

Hier finden wir die ersten Versuche der BWL, aus einem mechanistischen ein menschliches System zu gestalten. Auf gesellschaftspolitischer Ebene verfolgte Deutschland dies im Sinne der “sozialen Marktwirtschaft” (Ludwig Erhard). Die Konzeption, auch Rheinischer Kapitalismus benannt, zeichnet sich durch einen größeren Pragmatismus aus, etwa in der Konjunktur- und Sozialpolitik. Man versucht, “die Vorteile einer freien Marktwirtschaft, insbesondere eine hohe Leistungsfähigkeit und Güterversorgung, mit dem Sozialstaat als Korrektiv zu verbinden, der mögliche negative Auswirkungen von Marktprozessen verhindern soll”1.

Was unhinterfragt bleibt, ist die monetäre Gewinn-Maximierung als oberstes und zugleich gesellschaftlich gesundes Ziel der Ökonomie. Es geht wie eh und je darum, Wirtschaftlichkeit durch Effizienz zu steigern. Leistungsbereitschaft und Motivation erhöhen, um effektiver am Markt agieren zu können. Auch in der Neoklassik dient dies einzelnen Oligarchen. Stetes Wachstum und Marktmacht bilden weiterhin die erstrebenswerten Ziele mit hoher gesellschaftlicher Anerkennung.

1 Thomas Hutzschenreuter “Allgemeine Betriebswirtschaftslehre: Grundlagen mit zahlreichen Praxisbeispielen.”
Gabler, 3. Auflage. 2009, S. 70.

FlowerPower hält Einzug in Unternehmen – Aktionärsdemokratie

Rückenwind erhält die Neoklassik in den 60er Jahren. Die Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Der Zeitgeist begünstigte die Befreiung von Strukturen der Kirche. Verwöhnt vom Wirtschaftswunder steckte die Wirtschaft 1966 / 67 in einer Krise.

Die westdeutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre war eine vielschichtige politische Bewegung, die die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er- und 1960er Jahre radikal kritisierte und bekämpfte. […] Ihr Selbstverständnis war zunächst emanzipatorisch, größtenteils antiautoritär gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen gerichtet.

Eine Folge dieser weltweiten Veränderung der Gesellschaft war der “Aufstand der Mittel gegen die Zwecke”, was erhebliche Konsequenzen vor allem für die Herrschaft im jeweiligen System hatte. Hatten es zu Bismarcks Zeiten Gewerkschaften bereits in einigen Marktbereichen erstritten, bahnt sich die Beteiligung der Mitarbeiter jetzt ihren Weg in nahezu alle Wirtschaftsbereiche. Die Monokratie-Verfassung der Klassik lösen soziale Herrschaftsorganisationen ab, die im Wesentlichen auf eine “Mitbestimmungsverfassung” hinauslaufen.

Grundgedanke dieses Organisationsmodells ist die völlige oder teilweise Anerkennung der Belegschaft (Arbeitnehmer) als Systemmitglieder, woraus sich deren Recht ableitet, über Mittel und Zwecke mehr oder weniger mitzuentscheiden. […] Als typisch hierfür kann das Modell der Arbeitnehmermitbestimmung in der Aktiengesellschaft gelten.

Prof. Dr. Andreas Remer

Universität Bayreuth, emeritiert

Quelle: Andreas Remer, “Organisationslehre” /R.E.A.-Verlag Managementforschung, 3. Auflage, S. 235 f.

Über den Umweg “Aufsichtsrat” wird die Belegschaft in einer Doppelrolle an der Herrschaft beteiligt. Die instrumentelle Herrschaftsstufung bleibt jedoch weitestgehend erhalten. Somit ist der Einfluss der Belegschaft “sehr indirekt und abstrakt, da er im Regelfall nur über Vertreter ausgeübt wird, die ihrerseits keine direkten Herrschaftsrechte im Systemgeschehen, sondern hauptsächlich bei der Bestellung der Leitungspersonen und der allgemeinen Überwachung haben.”2

2 Andreas Remer, “Organisationslehre” /R.E.A.-Verlag Managementforschung, 3. Auflage, S. 237.

Die Aktionärs-Demokratie ist, wenn überhaupt, nur eine marginal unternehmensdemokratische Ausrichtung. Wir widersprechen damit der Argumentation von Wirtschaftsjournalist Rüdiger Jungbluth, wenn er sagt

Alle großen DAX-Unternehmen haben Elemente der Partizipation eingeführt. […] Günther Quandt war noch Autokrat. Er hat sein Unternehmen durchregiert. Aber so wird ja von den großen, erfolgreichen Unternehmen doch schon lange keines mehr geführt. Das geht bei Siemens nicht mehr. VW war vielleicht noch so ein letzter Dinosaurier mit Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn oben an der Spitze. Aber die anderen Unternehmen haben sich im Binnenleben extrem demokratisiert.

Rüdiger Jungbluth

Wirtschaftsjournalist

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Im Zusammenspiel aus Grad, Reichweite und Frequenz der Partizipation an unternehmerischen Entscheidungen lässt sich bestimmen, wie unternehmensdemokratisch es in einer Firma zugeht.3 Und auch, ob Mitarbeiter wie andere Beteiligte aus dem Unternehmensumfeld auf Arbeitsebene, taktischer und strategischer Ebene partizipativ in unternehmerische Entscheidungen mit einbezogen werden.

3 Andreas Zeuch, “Alle Macht für Niemand” /Murmann, S. 63f.

Sketchnotes: Unternehmensdemokratie & Partizipation in betrieblichen Entscheidungsprozessen. Bild: cc Franziska Köppe | madiko

Rüdiger Jungbluth fragt in der Lesart, wer darüber entscheidet, wohin sich ein Unternehmen entwickelt. Wir bemessen den unternehmensdemokratischen Grad an der Erfüllung der oben genannten drei Dimensionen. So gemessen, kommt man schnell zur Erkenntnis, wie gering die Demokratisierung in (Groß)Konzernen tatsächlich ausfällt.

Ungeachtet dessen wollen wir uns mit diesen gesellschaftspolitisch spannenden Fragen beschäftigen:
  • Wer führt das Unternehmen? Die Kapitaleigner oder diejenigen, die dort arbeiten?
  • Welche Mitsprache-Rechte (und Pflichten) haben zukünftig Lieferanten und Kunden?

Denn Unternehmensdemokratie rüttelt ebenso an den systemischen Grenzen eines Unternehmens – wie das Beispiel Premium-Cola eindrücklich zeigt.

Letztlich hat es keinen Sinn, DAX-Konzerne überhaupt auf Unternehmensdemokratie hin weiterentwickeln zu wollen. Sie kommen aufgrund ihrer Grundstruktur und juristischen Erfordernisse kaum über die kurzfristige Gewinnmaximierung hinaus. Als Aktiengesellschaften sind sie darauf ausgerichtet und bleiben dem neoklassischen Ansatz der BWL verhaftet. So will es das Gesetz: §§76ff. und §174 AktG, §5 und §§74ff BetrVG, MitbestG.

Da sie 2% der Wirtschaft ausmachen (anders als uns die täglichen “Wirtschaftsnachrichten” immer wieder suggerieren), halten wir es für viel zielführender, uns auf die übrigen 98% der kleinen und mittelständischen Firmen zu konzentrieren. Zumal es Unternehmergrößen, wie beispielsweise Günther Quandt (oder Steve Jobs, Mark Zuckerberg, Werner Siemens, Gottlieb Daimler), deutlich seltener gibt. Dem Konzept der Unternehmensdemokratie hingegen wohnt ein (bislang wenig genutztes) Potenzial für Schwarmintelligenz und Unternehmertum inne.

Warum man uns stets DAX-Unternehmen als das Non-Plus-Ultra der Wirtschaft suggeriert und dieser Umstand entsprechend in der öffentlichen Wahrnehmung zur Wahrung der Macht der Oligarchen vertuscht wird, erklärt Professor Rainer Mausfeld sehr anschaulich in Warum Schweigen die Lämmer und der anschließenden Diskussion zum Vortrag.

Moderne Betriebswirtschaftslehre als Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit

Die BWL weiß, dass der Homo oeconomicus ein theoretisches Konstrukt ist, um die komplexen Zusammenhänge des Marktes zu vereinfachen. Leider diskutieren wir zu wenig die Alternativen, insbesondere wenn es um die Umsetzung in den einzelnen Fachgebieten der BWL geht.

Was nutzt es, …
  • wenn auf organisationaler und unternehmenskultureller Ebene über Mitbestimmung und paritätische Verteilung im Aufsichtsrat gesprochen wird – im Controlling jedoch weiterhin hierarchisch kaskadierte Zielvorgaben mit Plan-Ist-Vergleichen in individuellen Zielvereinbarungen niedergehen?
  • “Social Media” technisch einzuführen – ohne die Menschen auf dem Weg des kulturellen Wandels (langfristig und konsequent) zu begleiten?
  • von Chefs Sinnstiftung zu verlangen – wenn es aufgrund der Individualität von Sinn zum Scheitern verurteilt ist?

In diesem Zusammenhang ist es kaum verwunderlich, dass Unternehmensdemokratie heute vielen fremd anmutet.

Unternehmensdemokraten – gibt es das überhaupt?

Florian-Felix Weyh

Deutschlandradio Kultur

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Als Unternehmer und diplomierte Kaufleute (BWLer) bedauern wir sehr, dass die Wirtschaft in neoklassischen Strukturen verharrt. Bereits vor zwei Jahrzehnten stellten wir als Jungakademiker die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis fest. Heute schielen Mittelständler noch immer nach den Verfahrensweisen der Großen, statt auf ihre eigene Stärke (Flexibilität, Marktnähe, Anpassungsfähigkeit und Menschlichkeit) zu setzen und nach geeigneten Methoden zu suchen, wie sie diese Stärken zukunftsrobust ausbauen und das unternehmerische Denken und Handeln im ganzen Betrieb fördern können.

Zugegeben, es mangelt in der öffentlichen Wahrnehmung an Praxisbeispielen und Vorbildern. Mit seinem Buch “Alle Macht für Niemand” begegnet Andreas Zeuch diesem Mangel. Dass seine Fallbeispiele aus verschiedenen Branchen und Disziplinen entnommen sind und gar kein “Best Practice” sein wollen, ist der richtige Weg. Er bestätigt EnjoyWork – Lebens- & Arbeitswelten mit Zukunft. Mitmachen, Inspiration finden, zu eigen machen, besser machen – ist ein erstrebenswertes Erfolgsrezept für Alternativen.

Doch was ist ein alternativer Sinn und Zweck eines Unternehmens? Auf die Zukunft ausgerichtete Organisationen erfüllen vielfältige Funktionen für die Gesellschaft. Das Streben nach Gewinnmaximierung reicht kaum zum erfüllten Überleben. Das fordert vielmehr mündige, eigenmotivierte Mitarbeiter, die wollen, was sie gemeinsam tun. Nur der Soziokomplex einer funktionierenden Werte- und Kulturgemeinschaft hat die Chance, unserer ebenso komplexen wie dynamischen Umwelt erfolgreich zu begegnen (Ashbysches Gesetz).

Die Zeit des scheinbar all­wissend, all­entschei­denden Chefs ist vorbei.
Und das ist gut so.

Der Dieselgate bei Volkswagen verdeutlicht es: Kein CEO (und schon gar kein Geschäftsführer eines Großkonzerns mit knapp 600.000 Mitarbeitern4 kann steuern, was alles in seinem Unternehmen passiert. Dennoch erhebt das neoklassische Hierarchie-Modell den Anspruch, dass die Führungsspitze alles weiß und die Geschicke des Konzerns zentral lenkt. Fehlen am Ende relevante Infos im Zentrum der Macht bzw. kann dieses sie nur unzureichend verarbeiten, versagt die Idee der zentralen Steuerung.

4 Beschäftigtenzahl der Volkswagen-AG via statista 2015-12

Somit demontiert sich das zentralistische Steuerungsmodell in seiner Logik selbst.

Dr. Andreas Zeuch

Unternehmensdemokraten

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Das bleibt im Übrigen auch dann so, wenn die Belegschaft den CEO demokratisch wählt. Wir sollten uns stattdessen vornehmen, das Gesamtkonstrukt zu reformieren. Das ist sehr wahrscheinlich der bessere Weg, will man dauerhaften Erfolg und das Überleben des Unternehmens langfristig sichern.

Da es also nachgewiesenermaßen für einen Einzelnen oder eine kleine Gruppe unmöglich ist, allumfassend sinnvoll zu entscheiden, erscheint dieser Gedanke nur logisch: Lasst uns die Unternehmen demokratisieren. Die Folge ist, dass wir Arbeitnehmer unternehmerische Entscheidungen treffen lassen.

Kaum gibt man dieser Erkenntnis Raum, drängt die Frage in den Vordergrund: Ob, wann und wie versetzen wir sie dazu in die Lage?

Braucht man für das demokratische Modell lauter motivierte Mitarbeiter, die für das brennen, was die Firma produziert? Das scheint mir Voraussetzung für diese flexiblen und flachen Hierarchien. Ich bin mir nur nicht sicher, dass das mit jedem Betrieb zu machen ist, in dem es unter Umständen auch Beschäftigte gibt, die in Ruhe gelassen werden wollen.

Jens Dirksen

WAZ-Kulturchef

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Ab wann wir der Belegschaft kaufmännische Beschlüsse zutrauen, hängt sehr stark von unserem Menschenbild und dem Rahmen ab, den wir ihnen dafür geben. Unsere Erfahrung zeigt: Die weite Mehrheit der Menschen (vielleicht sogar alle) können mitbestimmen. Die Fähigkeit zur Autonomie liegt in unserer natürlichen Entwicklung als Individuen. Diese Selbstwirksamkeit setzt unglaubliche Energie und Kraft frei – bei jedermann. Dies beobachten wir insbesondere bei Personen, die es in unseren Projekten das erste Mal (reflektiert) erfahren.

Diese Energie fürs Unternehmen zu gewinnen, bedeutet Erfolg. Voraussetzung dafür ist, den Frauen und Männern Raum und die Zeit des Lernens und Wissenstransfers einzuräumen. Am besten genutzt ist diese Zeit dann, wenn man ihnen in Krisen vertraut und gerade dann Eigenverantwortung von ihnen verlangt.

Unternehmensdemokratie –
der neueste Kniff neoklassischer Betriebswirtschaft?

In einer Demokratisierung liegt demnach eine Chance auf (größeren) Unternehmenserfolg. Im Rahmen seines Buches beleuchtet dies Andreas Zeuch für die betrachteten Fälle und kommt zu dem Schluss, dass alle (bis auf eines) von der Transformation profitierten.

Insofern ist die Frage von Jens Dirksen berechtigt:

Handelt es sich bei Unternehmensdemokratie um die nächste Optimierungswelle im Kapitalismus?

Jens Dirksen

WAZ-Kulturchef

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Seine eigene Antwort:

Das ist ja schon wieder ein Trick des fortentwickelten Kapitalismus. Ich mache mir Unternehmertum noch ein bisschen effizienter und gängiger, in dem ich die Leute mitnehme; und dann funktionieren sie noch besser.

Jens Dirksen

WAZ-Kulturchef

zitiert aus Lesart „Die Macht der Manager – Mitbestimmung oder Autokratie in Unternehmen?“ vom 27.10.2015

Darin liegt in der Tat eine Gefahr. Gerade im aktuellen Hype um “Arbeit der Zukunft” und den Trends der “Digitalisierung” sowie der “Generationen Y und Z”. So ist Unternehmensdemokratie eine weitere “Neokapitalismus-Sau”, die wir durch unsere Firmen jagen.

Die Sau soll den alljährlich im GALLUP-Engagement Index bestätigten Mangel an Motivation in der Belegschaft sättigen. Unternehmer und Manager lassen sie mit gesteuert dosierter Partizipation gerade so groß werden, dass der Motivationsmangel verfliegt. Ganz im Dienste der unveränderten Gewinnoptimierungsmaxime für Anteilseigner.

Wir beobachten regelmäßig, dass Menschen so an die Frage der Demokratisierung herangehen. Wollen wir auch die Gewinn-Orientierung hinterfragen – Warum? Beklagenswerterweise beobachtet man dies in allen Branchen und Disziplinen – auch bei Experten für Nachhaltigkeit, die ihr Interesse an Alternativen auf anderem Gebiet ja bereits unter Beweis stellen. Das unterstellt:

Die Gewinn-Maxime scheint unumstößlich.
Stimmt das?

Für die Anwendung der Unternehmensdemokratie fordern Menschen regelmäßig Nachweise, dass wir mit ihr (und anderen Methoden und Arbeitsweisen einer Betriebswirtschaft mit Menschen) bessere Ergebnisse (im Sinne einer Gewinnmaximierung) erzielen.

Dieses Verlangen führt zur Frage nach unserer Haltung, mit der wir Unternehmensdemokratie nutzen. Zielt sie erneut vorwiegend auf die Gewinn-Maximierung? Dann verharrt die Firma im neoklassisch ausnutzenden Modell der Betriebswirtschaftslehre. So verstanden jagen wir schlicht die nächste kapitalistische Sau durch den Betrieb.

Dennoch mehr als Übervorteilung?!
Unsere Antwort für Lebens- & Arbeitswelten mit Zukunft

Für uns birgt das Instrument der Unternehmensdemokratie mehr als ein weiteres Mittel zur Gewinn-Maximierung. Betten wir sie in eine Haltung des Respekts gegenüber unseren Mitmenschen, paaren sie mit den Grundsätzen der Aufklärung und Soziokratie und schaffen ein neues Gleichgewicht von Verantwortung und Leistung zum Entgelt, ergibt das alternative Antworten auf die Fragen:
  • Wie wollen wir heute und in Zukunft leben und arbeiten?
  • Wozu dient unser Unternehmen?
  • Wem stiften wir welchen Nutzen – den Menschen, der Gesellschaft und uns?
  • Was ist unser Wert und wie gestalten wir daraus attraktive Angebote?
Lösen wir uns vom einzig gewinn- / geldgetriebenen Erfolgsbegriff, erlangen wir neue Freiheiten:
  • Wir können mehr Abhängigkeit selbst wählen.
  • Wir arbeiten und leben zunehmend sinngekoppelt.
  • Wir geben uns den Raum für die professionelle Nutzung unserer Intuition.

Dann ist “Mensch-Sein” das Maß der Wirtschaft. Dann kann für viele Arbeit Berufung sein. Dann werden Arbeits- zu Lebenswelten. Dann verdienen wir mit guter Arbeit gutes Geld. So führen wir persönlichen und unternehmerischen Erfolg zusammen.

Bleib neugierig,
Franziska & Gebhard

Resonanz aus der Community

Liebe Franziska,

der verlinkte Artikel ist sehr gut recherchiert, lässt aus meiner Sicht aber noch zwei wichtige Aspekte außer Acht. Vielleicht kannst Du Sie ja ergänzen / integrieren?

Viele Grüße,
Sylvius

1. Während der Lean-Welle in den 90iger Jahren wurde — ähnlich wie heutzutage bei den “agilen Arbeitsweisen (Scrum etc.)” — tatsächlich nur der Prozess und die vermeintlich damit einhergehende Kosteneinsparung gesehen und von Beratungsfirmen implementiert.

Die Gefahr, dass Unternehmensdemokratie, New Work etc. daher tatsächlich von Unternehmerseite und Management nur zur Kostensenkung und Employer-Branding “missbraucht” werden ist real. Ich erlebe solche Fälle zu Hauf.
Man nennt dies dann auch ScrumBut oder AgileINO (Agile in Name only).

Es scheint also ein wiederkehrendes, menschliches Problem zu sein nur die Oberfläche zu sehen (oder zu akzeptieren), nicht jedoch den darunter liegenden Wertekontext.

Die meisten Menschen erkären sich diese “neuen Methoden” ohnehin basierend auf Ihrem bisherigen Wissen mit der Folge, dass sie eigentlich das gleiche machen wie vorher, nur unter einem neuen Namen.

2. Unternehmensdemokratie ist keine neue Erscheinung.

Es gibt im gesamten 20 Jhd. immer wieder (ungefähr einmal pro Jahrzehnt) eine Bewegung die den Mensch in der Arbeitswelt in den Vordergrund rücken möchte. Zu Beginn des 20. Jhd. lief dies unter dem Stichwort “Wirtschaftsdemokratie” und war noch stark vom sozialistischen Klassenkampf geprägt.

Ab 1974 gab es dann ein von der damaligen SPD-Bundesregierung gefördertes Programm mit dem Namen “Humanisierung der Arbeit”, was in den 80iger und 90iger Jahren fortgeführt wurde. (Indirekte) Nachfolger in unseren Tagen sind u.a. die “Initiative neue Qualität der Arbeit” und “Arbeiten 4.0” (Schirmherring Andrea Nahles).

Wenn man der Frage nachgeht, warum sich in den 70iger und 80iger Jahren die propagierten “teilautonomen Gruppen” (heute würde man sie selbstorganisierte Teams nennen) nicht in der Breite durchsetzen konnten stösst man oft auf “Unternehmenskultur” als Antwort. Die Kultur in Unternehmen und der Gesellschaft, wo uns spätestens ab der Schule ein autoritärer Führungsstil (Lehrer sagt an, Schüler müssen folgen) prägt, scheint dazu zu führen, dass sich diese Prägung auf Dauer immer wieder durchsetzt und der Großteil der Bevölkerung – mangels anderweitiger Erfahrung oder Vertrauen in die Veränderung – einen autoritären Führungsstil als alternativlos ansieht, da sie auch nie etwas anderes kennen gelernt haben.

Mag. Sylvius Gerber

Veränderungskraft Gerber & Merz GbR

Quelle: Kommentar von Sylvius via XING Forum “EnjoyWork”

Hier wäre tatsächlich ein Diskurs angebracht, um mehr Sichtbarkeit für das Thema “Was ist unternehmerischer Erfolg?” in Kombination mit der Frage nach dem Begriff “Gewinn” zu erlangen und Reflexion anzuregen.

Ein engagierter Artikel ist das geworden, herzlichen Glückwunsch, auch wenn aus meiner Sicht der historische Abriss etwas zu linear und eurozentrisch geraten ist – aber das liegt an der Komplexität und Weitläufigkeit des Themas. Die erste industrielle Revolution ist nicht aus dem Nichts aufgetaucht, es wäre sinnvoll, den globalen Kontext mitzuberücksichtigen – würde hier aber zu weit führen, daher dazu gerne bei Gelegenheit an anderer Stelle mehr. ;-)

Die von Euch beschriebene BWL ab dem Ende des 19. Jh. wird m.E. als “moderne BWL” bezeichnet, aber ich denke, der Begriff “klassische BWL” ist hier ebenso stimmig. Was ich etwas kritisch sehe, ist die Verwendung des Begriffs “homo oeconomicus”. Ich weiss, dass dies im BWL-Kontext gerne gemacht wird, aber sowohl dieser Kontext als auch die Verknüpfung mit der reinen Gewinnmaximierung greifen zu kurz. Das Modell des homo oeconomicus ist das eines Nutzenmaximierers aufgrund von Präferenzen – und die müssen nicht nur monetär sein. Er hätte daher auch immer die Wahl, sich nicht für die monetäre Gewinnmaximierung zu entscheiden, wenn ihm andere Aspekte “gewinnbringender” und rational sinnvoll erscheinen. Ist m.E. auch eng verknüpft mit der Frage, ob ein Unternehmer eher langfristig oder kurzfristig denkt.

Dem Post von Sylvius würde ich uneingeschränkt zustimmen – insbesondere dem Hinweis auf die immer wiederkehrenden Phasen (ich werfe hier das Denken in Kreisläufen in den Raum) und Ausprägungen von “menschlicher Wirtschaft”. Und ja, das was wir heute in Unternehmen als “Unternehmenskultur” sehen, hat deutliche Ursprünge in unserem Top-Down-Bildungssystem.

Zum Glück gibt es aber neben der veralteten BWL-Lehre, die zwar leider immer noch überwiegend gelehrt wird (auch hier lässt wieder mal unser suboptimales Bildungssystem grüßen), einige Beispiele für alternative Wirtschaftslehren – u.a. Alanus, Leuphana, Uni Bremen, Eberswalde… Es gibt damit gute Anzeichen, dass sich das tradierte und überkommene BWL-Verständnis und damit auch Wirtschaft in Zukunft ändern wird.

Es dauert halt länger als wir das gerne hätten… wie immer… ;-)

Daniela Röcker

Kultur-Komplizen

Quelle: Kommentar von Daniela via XING Forum “EnjoyWork”

Auch unternehmensdemokratische Ansätze werden sich den herrschenden Wertvorstellungen und Machtstrukturen anpassen (müssen). Wir bewegen uns in einem Umfeld, das wesentlich durch die Sozialisation in Familie, Schule und Ausbildung geprägt ist. Wohlgemerkt in einem Ausbildungssystem, dass zunehmend auf „Employability“ ausgerichtet ist und einem Wissenschaftssystem, das mehr und mehr ökonomischen Regeln unterliegt.

Ganz grundsätzlich besteht zunächst auch gar kein direkter Zusammenhang zwischen Unternehmensdemokratie und Kapitalismuskritik. Auch demokratisch geführte Unternehmen können rein gewinnorientiert arbeiten. Sicher, wer sich heute mit Unternehmensdemokratie beschäftigt sind eher nicht die Hardcore-Wirtschaftsliberalen. Aber spätestens wenn das Thema sein Nischendasein verlassen sollte, wird es zur Manifestierung bestehender Strukturen genutzt werden.

Die oben genannten Wellen- oder Pendelbewegungen unterstützen dieses Bild. Zu beachten ist dabei, dass wir ab den 1990er Jahren mit strukturellen Veränderungen aufgrund der Globalisierung zu tun haben. Diese Veränderungen dienen als Begründung für Steuersenkungen, Abbau von Sozialmaßnahmen, Lohnzurückhaltung und für zunehmendes Wettbewerbsdenken. Schwierig ist, dass diese Drohszenarien durchaus einen realen Hintergrund haben. Wir befinden uns tatsächlich im Wettbewerb mit Ländern, in denen Menschenrechte und Umweltschutz weniger Wert zugemessen wird und / oder in denen Streben nach Monopolisierung von Märkten das primäre Ziel darstellt. Eine Veränderung bestehender Gesellschaftsverhältnisse ist damit auch immer eine Frage, die diese globalen Zusammenhänge berücksichtigen muss.

Im Ergebnis bin ich der Meinung, dass wir die gesellschaftliche Veränderungskraft unternehmensdemokratischer Tendenzen nicht überbewerten sollten. Ich trenne für mich das Thema Unternehmensdemokratie in drei Diskussionsstränge:
  • Unternehmensdemokratie als Mittel zur Gewinnsteigerung: Mit Unternehmensdemokratie lassen sich Innovationsfähigkeit und Koordinationskosten senken. Diese Sichtweise ist voll kompatibel mit einer kapitalistischen Logik.
  • Unternehmensdemokratie mit humanistischem Hintergrund: Partizipation, weil es den Mitarbeitern_innen „gut tut“, aus einem moralischen Antrieb. Dies kann als eine Weiterentwicklung des patriarchalisch-fürsorglichen Unternehmens verstanden werden und muss in keinem Widerspruch zur Gewinnorientierung stehen.
  • Unternehmensdemokratie als Kapitalismuskritik

Eine Diskussion in jedem der drei Stränge sehe ich für mich persönlich als lohnenswert an, ich betrachte sie aber getrennt, mit jeweils unterschiedlichen Teilnehmern, Kommunikationsmustern und damit auch gesellschaftlicher Relevanz.

Den letztgenannten Strang „Unternehmensdemokratie als Kapitalismuskritik“ sehe ich wie oben ausgeführt primär aus Sicht der Kapitalismuskritik, in dem die Unternehmensdemokratie lediglich einen Teilaspekt darstellen kann (aber nicht muss). Hier stehen Fragen im Vordergrund wie die von Daniela genannte „Was ist unternehmerischer Erfolg?“ i. V. m.: Welchen Stellenwert haben monetäre Ziele, v. a. im Hinblick auf Zielkonflikte mit Menschenrechten? Wie in meinem Beitrag bereits oben erwähnt, sollten diese Fragen mit Blick auf realistische Umsetzungsoptionen in einem globalen Kontext diskutiert werden. Dies unterscheidet den Diskussionsrahmen von dem des Themas Unternehmensdemokratie, das primär im innerbetrieblichen Kontext diskutiert wird (werden muss?).

Marvin Ludwig

Quelle: Kommentar von Marvin via XING Forum “EnjoyWork”

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