Mit Blick auf Digitalisierung und Automatisierung, liegt die Zukunft menschlicher Arbeit darin, Dinge zu tun, die einem selbst und anderen helfen, sich zu entfalten. Das können Maschinen nicht.
Wenn klar ist, wo es hingehen soll und was man beitragen will, muss das artikuliert werden. Sonst findet Wandel nicht statt. Dabei ist es wichtig, Grenzen im Denken zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Staat und Familie zu überwinden.
Wirkung liegt im Zusammenführen dieser Bereiche, nicht in der Trennung.
Dr. Gorgi Krlev
Centrum für Soziale Investitionen & Innovationen (CSI)
Universität Heidelberg
Service für Querleser – die Kapitel im Überblick
Warum es wichtig ist,
Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen
messbar zu machen
· Teil 1: Grundlagen & Nutzen ·
Nachhaltige Entwicklung
Die Dringlichkeit, aktiv zu werden, steigt
Mangelnde Fundierung der praktischen Arbeit
führt zu Green / White / Social Impact Washing
Wirkungsorientierung
Paradigmen-Wechsel zu einer sozial-ökologisch-finanziellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
Wie es gelingt,
Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen
messbar zu machen
· Teil 2: Umsetzung in der Praxis ·
Instrumente der Wirkungsmessung
- Analyse des „Social Return on Investment
(SROI)
- Kosten-Nutzen Rechnung
(„Cost-Benefit Analysis“)
- Wohlergehen, Zufriedenheit oder Glück
(Wohlfahrtsindikatorik)
- Befähigungsansatz
(Capability Approach)
Die Schwierigkeiten, soziale Wirkung zu erfassen
Benötigte handwerkliche Fähigkeiten und Kompetenzen im Unternehmen
- Strategische Kompetenzen
inklusive der Persönlichkeitskompetenzen und
Kompetenzen zur Moderation von Reflexions- und Entscheidungsprozessen
- Fähigkeit zum “Übersetzen” und Entwickeln
… der Strategie in konkrete Aufgabenpakete
und einen eigenen Navigationskompass für den Weg
- Forschergeist & Operationalisieren
Verhaltensänderungen umsetzen, Überblick verschaffen, Fortschritte überprüfen
Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen
· Teil 1 ·
Franziska
Guten Tag Gorgi und herzlich Willkommen bei EnjoyWork. Bevor wir in unser gemeinsames Thema einsteigen zunächst eine Vorstellung:
Du bist Diplom-Kaufmann (Universität Mannheim) und hattest Deinen Studienschwerpunkt auf Finanzen und internationales Management gelegt. Während und direkt nach Deinem Studium, 2010, stiegst Du als Projektmitarbeiter bei BASF SE im Bereich Nahrungsmittel ein. Der Schwerpunkt Eurer Arbeit lag dabei auf dem Thema “Versteckter Hunger” (Hidden Hunger), der die Verbesserung der Versorgung mit Mikronährstoffen, z.B. Vitaminen, zum Ziel hat. Von dieser Mangelernährung sind heute weltweit 2 Milliarden Menschen betroffen. Das war eine Deiner ersten Begegnungen mit “Social Business”.
Seither lässt Dich das Thema nicht los und Du beschäftigst Dich mit gesellschaftlichen Innovationen auch als Forscher. 2011 wurdest Du wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Social Investment (CSI) des Max-Weber-Instituts für Soziologie der Universität Heidelberg. Von 2013 bis 2017 promoviertest Du parallel bei Alex Nicholls und Jonathan Michie am Kellogg College der Universität Oxford. 2018 wurde Dir dort Dein PhD (Doktortitel) in “Business and Management” verliehen.
Seit 2018 bist Du Vollzeit zurück am CSI in Heidelberg und konzentrierst Dich in Deiner wissenschaftlichen Arbeit auf Unternehmertum, soziale Innovationen und Wirkungsmessung.
Soweit in aller Kürze ein grober Hintergrund zu Deinen Fachkompetenzen. Wenn Du Dich darüber hinaus beschreiben müsstest: Wer bist Du? Was macht Dich aus?
Gorgi
Ich bin extrem neugierig – unabhängig vom Thema. Wenn es Interessantes zu erfahren gibt, höre ich zu. Das ist wohl auch einer der Gründe, wieso ich Wissenschaftler geworden bin. Dinge zu hinterfragen, zu verstehen und zu verändern, treiben mich an. Leider sind einem dafür in der Wissenschaft oft enge Grenzen gesetzt. Daher suche ich den Austausch zu Praktiker*innen – egal ob das Unternehmer*innen, gesellschaftlich Engagierte oder politische Entscheidungsträger*innen sind. Auch versuche ich, Forschung und Lehre immer praxisrelevant zu gestalten.
Ganz besonders treibt mich um, wie wir gesellschaftliche Probleme adressieren können. Zum Beispiel wie wir Menschen mit Behinderungen, die sich unter Umständen als besondere Begabung herausstellen, für alle Seiten gewinnbringender ins Leben und die Arbeitswelt mitaufnehmen können. Integrieren als Begriff zu verwenden, fällt mir insbesondere im Hinblick auf soziale Teilhabe schwer. Denn er legt nahe, dass „die“ Zugang zu „unserem“ System finden müssen. Aber letztlich kommt es auf gute gemeinsame Lösungen an.
Das gilt genauso für ökologische Herausforderungen und die Bekämpfung von Armut. Die “Ziele für Nachhaltige Entwicklung” haben hierfür einen guten Rahmen gesetzt. Diesen müssen wir mit Leben, sprich mit konkreten Taten füllen. Ob das jetzt Kaffeekapseln aus Holzspänen sind, um Plastikmüll zu vermeiden, oder Ansätze, die in der Behandlung von psychischen Krankheiten auf die „Expertise“ von denjenigen setzen, die die Erkrankung erfolgreich überwunden haben – die Anwendungsfälle innovativen Denkens sind schier endlos.
Wir nennen das soziale Innovation, also Innovation, die den Menschen dient. Wir sehen in der Forschung täglich und an vielen Stellen Beispiele. Das fasziniert mich – vor allem die Frage: Wie machen wir das zum Standard? Denn daran mangelt es.
Zu viele hervorragende Projekte und Organisationen haben einen nur sehr begrenzten Wirkungskreis, nicht zuletzt, weil oft der Wissenstransfer oder Mittel zu Verbreitung fehlen. Das gilt es zu ändern.
Wir müssen darauf hinarbeiten, dass jede Organisation Nachhaltigkeit, gutes Arbeiten und einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zum Kern ihrer Strategie macht.
Ziele Nachhaltige Entwicklung
Agenda 2030 · Weltzukunftsvertrag der Vereinten Nationen zur Transformation unserer Welt. Leitbild der “Sustainable Development Goals” (SDGs) ist es, weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren. Erreicht werden sollen die Ziele weltumspannend bis 2030. Die Verantwortung tragen wir alle.
2019-07-25 · Franziska Köppe | madiko
Nachhaltige Entwicklung –
Die Dringlichkeit, aktiv zu werden, steigt
Franziska
Es gibt immer mehr Menschen, die der Zerstörung der Natur begegnen und ihren eigenen Beitrag leisten wollen. Humanisten und Anhänger der Aufklärung melden sich in der Öffentlichkeit wieder stärker zu Wort. Sie wollen dies nicht nur als privates Engagement verstanden wissen, wo die Wirkung auf das persönliche Umfeld begrenzt ist. Sie wollen es insbesondere im beruflichen Kontext leben und die von Dir angesprochenen Ziele für nachhaltige Entwicklung umsetzen.
Zwischen Utopie und Dystopie – welchen Beitrag leistet aus Deiner Sicht Wirtschaft heute und in Zukunft für ein gutes Leben?
Gorgi
Wir sehen in beeindruckendem Maße, dass viele Menschen sich wieder für etwas engagieren, dafür auf die Straße gehen. Sie gründen Organisationen (Entrepreneure), die konkrete Lösungsansätze erarbeiten oder diesen Wunsch nach Wandel in Organisationen tragen (Intrapreneure). Unternehmen reagieren immer stärker auf ihren Druck. Der Begriff „Purpose“ oder „Sinn“ scheint aber mittlerweile schon fast so stark verbreitet, dass er inhaltsleer wird. Beziehungsweise wird er auf so viele unterschiedliche Arten und Weisen interpretiert, dass er eben für Alles und Nichts stehen kann.
Die NewWork- oder EnjoyWork-Bewegung muss dazu beitragen, klarer zu machen, worauf es ankommt. Interessanterweise sind kleine Unternehmen da den Großen oft voraus. Die Mitarbeiter*innen mögen zwar ein engeres regionales Wirkungsfeld haben, aber sie übernehmen oft vielfältigere und miteinander verknüpfte Aufgaben. Sie begleiten Produkte zum Beispiel nicht nur im ersten Schritt, sondern von „cradle to grave“ beziehungsweise immer öfter von „cradle to cradle“, wenn es darum geht, Produktlebenszyklen zu verlängern oder Produktbestandteile immer wieder zu verwerten. Das ist mit dem Wort „Circular Economy“ gemeint.
Auch wollen Mitarbeiter*innen immer mehr mitbestimmen. Das ist dann „Shared“ oder „Systems“ Leadership, also gemeinsame oder systemorientierte Führung. Wir sehen Beispiele demokratischer Organisationen, die als Kollektive funktionieren. Premium Cola ist ein Paradebeispiel, das ihr ja auch gut kennt. Da wird fast alles konsensdemokratisch diskutiert und abgestimmt, und zwar online. Verträge werden nicht geschlossen, sondern Geschäftsbeziehungen basieren auf Vertrauen.
Ich brauch keinen Vertrag, eine vorläufig gültige Vereinbarung reicht. Die kann man dann ändern, wenn eine Seite unzufrieden werden sollte. Das ist genau der Moment, in dem man sie ändern sollte. Nur so hältst du die Partner*innen auf Dauer zufrieden und die Organisation als Ganzes stabil.
Uwe Lübbermann
Gründer und zentraler Moderator Premium Cola
Wenn Du mehr zu Uwes Ansatz hören magst, in diesem Fachbeitrag erklärt er, wie er mit Zufriedenheit in der Zusammenarbeit umgeht: Schwierige Gespräche moderieren: Es ist der Wille, lösen zu wollen
[ Foto: Augenhöhe Film und Dialog ]
Gorgi
An solchen Organisationen sehen wir, dass Soziokratie, also Organisationen ohne formale Führung, oder netzwerkbasierte Organisationen in der Praxis funktionieren. Natürlich klappt das nicht immer und überall. Und es gibt keinen guten Grund alles, was wir bisher haben über Bord zu werfen und in ein Extrem umzuschwenken. Aber wir sehen, dass gerade einiges in Bewegung ist und das sollten wir nutzen. Im Eröffnungsfilm des Skoll World Forum 2019 wurde ein treffendes Zitat verwendet, das Franz von Assisi zugeschrieben wird:
zitatinte: Franz von Assisi / Das Unmögliche
[ 2019-08 Franziska Köppe | zitatinte ]
Tue erst das Notwendige,
dann das Mögliche,
und plötzlich schaffst du das Unmögliche.
Franz von Assisi
Gorgi
Es scheinen genug Menschen zu glauben, dass Elon Musk es schafft, uns auf den Mars zu schießen. Wieso dann nicht daran glauben, dass Organisationen stärker den Bedürfnissen der Menschen entsprechen können und soziale Probleme effektiv lösen?
Wirkungsorientierung
Paradigmen-Wechsel zu einer sozial-ökologisch-finanziellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
Gorgi
Ich versuche zu erklären, wie und unter welchen Bedingungen soziale Innovation entsteht. Mich beschäftigen dabei Fragen wie beispielsweise:
- Wie können wir die Wirkung sozialer Innovationen valide aber praktikabel messen?
- Was brauchen Sozialunternehmen, um für Investoren, die auf Wirkung aus sind – sogenannte „Impact Investoren“ – interessant zu sein?
Das in die Praxis zu tragen ist meine Ambition. Das funktioniert nicht von heute auf morgen, klar. Konventionelle Rechnungslegung ist vergleichsweise simpel, da sie lediglich in der “Währung” Geld rechnet.
Viele Leute scheinen zu vergessen, dass bereits Bilanzen oder eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung ein gutes Jahrhundert gebraucht haben, um so auszusehen wie wir sie heute kennen. Da werden doch wohl einige Jahre für einen „wirkungsorientierten“ Paradigmenwechsel, inklusive eines integrierten sozial-ökologischen-finanziellen Reportings drin sein?
Franziska
Nun, es gibt ja innovative, auf sozial-ökologisch-finanziellen Kriterien beruhende Modelle. Sie sind nur (noch) zu wenig bekannt.
Ich denke da beispielsweise an die Gemeinwohl-Matrix, die von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung rund um Christian Felber erarbeitet und angewendet wird.
Oder auch an das von Gebhard Borck und mir entwickelte und in der Praxis erprobte Denkwerkzeug der WertVerträge, woraus sich innovative Honorarkonzepte, marktorientierte Gehaltssysteme bis hin zu “Schwarzer Schwan-Vereinbarungen” (als eine Königsdisziplin für Investitionen) ableiten lassen.
Bei Letzterem fokussieren wir uns im Wert auf den Nutzen, der durch die Kooperation und Kollaboration der Beteiligten und ihrem individuellen Anteil am Erfolg entsteht. Im Rahmen der Auftragsklärung wird dabei auch ein gemeinsames Bild davon entwickelt, wie sich dieser Erfolg definiert – was über den profanen Mammon hinausgeht. Wir betrachten so unter anderem, woran die Beteiligten diesen Wert bemessen bzw. woran sie erkennen, dass sie sich im Tun auf einem guten Weg befinden.
Gorgi
Richtig. Der Paradigmenwechsel betrifft nicht nur die Arbeit nach außen, sondern auch die Frage wie Unternehmen es schaffen, für ihre Mitarbeiter*innen attraktiv zu sein, Sinn zu schaffen und Erwerbstätigkeit und Privatleben ein besseres Zusammenspiel zu ermöglichen.
Die Herangehensweise, um festzustellen, ob etwas passiert, was passiert und wieso das eine funktioniert und das andere nicht, sind hier dieselben wie bei der Wirkung von Unternehmen in die Gesellschaft hinein. Wichtig ist die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen. Und auch die gewohnten Wege zu verlassen, sich auf Neues einzulassen.
Mir fällt als Beispiel der Service RockYourCompany! aus München ein. Sie helfen Unternehmen, passende Mitarbeiter und Auszubildende zu finden, sie zu halten und in ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Angeboten wird diese Dienstleistung vom Sozialunternehmen Rock Your Life! gGmbH, das mit innovativer Nachhilfe und Unterstützung für benachteiligte Schüler*innen gestartet ist. Es gibt denjenigen eine Chance, die ansonsten „durch das Raster“ fallen würden. Allerdings ist das kein Selbstläufer. Beide Seiten müssen in den Erfolg investieren, der oft auch die Einbeziehung der Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern erfordert.
Gorgi
Corporate Volunteering Programme oder pro bono Engagement von Mitarbeiter*innen kleinerer Unternehmen kann sozialen Initiativen die entscheidenden Ressourcen verschaffen, um neue Ideen umzusetzen, beispielsweise durch Rechtsberatung oder das zur Verfügung Stellen von Digitalkompetenzen. Es gibt vermehrt Plattformen, wie zum Beispiel Volunteer Vision, welche die Passung bei einer solchen Zusammenarbeit erhöhen wollen.
Gorgi
Alle genannten Beispiele erfordern Offenheit und die Bereitschaft, die „Sprache“ der anderen zu lernen. Die Bereitwilligkeit das zu tun steigt, aber es ist noch ein langer Weg.
Franziska
Was braucht es aus Deiner Sicht, damit dieser Weg leichter wird?
Die Antwort auf die Frage
“Wie wollen wir
leben und arbeiten?”
determiniert die gesellschaftliche Wirkung unseres Tuns
Gorgi
Ich rufe jede*n dazu auf, sich zu überlegen, was sie oder er tun und sein will, was ihr oder ihm bei der Arbeit wichtig ist. Mit Blick auf Digitalisierung und Automatisierung, liegt die Zukunft menschlicher Arbeit darin, Dinge zu tun, die einem selbst und anderen helfen, sich zu entfalten. Das können Maschinen nicht.
Wenn klar ist, wo es hingehen soll und was man beitragen will, muss das aber auch artikuliert werden. Sonst findet Wandel nicht statt. Dabei ist es wichtig, Grenzen im Denken zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Staat und Familie zu überwinden. Wirkung liegt im Zusammenführen dieser Bereiche, nicht in der Trennung.
Und wollen wir Wirkung schaffen – in Organisationen aber auch in die Welt hinein – dann müssen wir schauen ob und wie sie stattfinden. Und vor allem wie sie kontinuierlich verbessert werden kann. Herausforderungen gibt es genug.
Franziska
In der Tat! *lacht.
Lieber Gorgi, vielen Dank für das inspirierende Gespräch bis hier hin. Im zweiten Teil gehen wir der Frage nach, wie es gelingen kann, Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen messbar zu machen und welche Kompetenzen wir dafür im Unternehmen brauchen.
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