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MOSAiC

Die größte und wichtigste Polar-Expedition der Geschichte der Menschheit

veröffentlicht: 29.07.2022 · Franziska Köppe | madiko

Klimafolgenforschung ist eng verknüpft mit dem Polarkreis. Der Eisbär – stärkstes Raubtier der arktischen Nahrungskette – ist seit vielen Jahrzehnten trauriges Symbol für den Klimawandel. In keiner anderen Region der Welt sind der Wandel des Klimas und seine Folgen so deutlich spürbar wie am Nordpol.

Aktuelle Messungen ergaben, dass binnen 125 Jahren die durchschnittlichen Jahrestemperaturen um 10°C gestiegen sind. Mit dem schmelzenden Meereis wird eine Kette an weltweiten Ereignissen ausgelöst, die wir heute kaum vorhersagen können. Wir stehen vor einem unumkehrbaren Kipppunkt, der das (Über)Leben auf der Erde komplett verändern wird.

Foto: MOSAiC 2019-2020: Polarstern im Meereis // Leg1
Alfred-Wegener-Institut / Foto: Marcel Nicolaus

Umso erstaunlicher ist es, dass wir bis 2020 keine vollständigen Daten von diesem neuralgischen Punkt unseres Planeten hatten. Mit dem Eisbrecher-Forschungsschiff “Polarstern” brach im Herbst 2019 eine interdisziplinäre Forscher:innen-Gruppe aus der ganzen Welt in die Arktis auf, um diese Wissenslücke zu schließen. Von ihnen erzähle ich Dir in dieser Reportage. Es ist eine Langstrecke. Du bist gewarnt ;-)

Trigger-Warnung: Klimaangst.
Hilfe und Unterstützung findest Du bei den Psychologists For Future: Klimaangst

MOSAiC 2019-2020: Eisbären im Meereis (Mutter mit Jungtier)
2019-10-03 / Leg1 Alfred-Wegener-Institut / Foto: Esther Horvath

Aufmerksam auf die MOSAiC Expedition wurde ich durch die Scientists for Future:

Expedition in die Arktis

Ich höre mich weiter durch meine wunderbare Podcast-Sammlung. Diese Woche hat mich die Folge 14 Expedition in die Akrtis der Scientists for Future in den Bann gezogen. Sie war Ende Juni 2021 erschienen. Damals fand ich nicht die Zeit, sie anzuhören. Dann hob ich sie mir für die heißen Sommertage auf, wenn ich eine “Abkühlung” brauche. Jetzt war also genau die richtige Zeit dafür.

In der Folge berichtet Verena Mohaupt, Wissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven (AWI), von der Expedition und erzählt von den enormen Anstrengungen, die hinter der Reise des Forschungsschiffs “Polarstern” zum Nordpol standen. Sie war als Logistik-Koordinatorin dabei. Eine grandiose Leistung. Das Fachmagazin “Nature” zählte sie 2020 daher zu den zehn Personen, die eine entscheidende Rolle für die Wissenschaft spielten.

Verena Mohaupt in der Polarnacht im Rahmen der MOSAiC Expedition 2019/20. Bild: cc Alfred-Wegener-Institut / Foto: Esther Horvath

Verena Mohaupt in der Polarnacht im Rahmen der MOSAiC Expedition 2019/20
[ 2019 Alfred-Wegener-Institut / Foto: Esther Horvath ]

MOSAiC ist ein Akronym. Es steht für “Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate” – multidisziplinäres, treibendes Observatorium zum Erforschen des arktischen Klimas. Es war das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass simultan und interdisziplinär Messungen über ein ganzes Jahr – also erstmals auch im Winter – in der zentralen Arktis vorgenommen wurden. Um zu verstehen, was für eine gigantische Forschungsreise 2019/2020 unternommen wurde, zunächst ein Überblick:

Atmosphäre, Meereis, Ozean, Bio-Geo-Chemie und Ökosysteme

Schließen der Wissenslücke der Klimafolgenforschung

Erforscht wurden die Atmosphäre, altes und neues Meereis, der Arktische Ozean, die Bio-Geo-Chemie und die Ökosysteme der Arktis. Mehr noch: Die Forscher:innen suchten nach den Verbindungen der einzelnen Disziplinen untereinander. Das macht eines der größten Errungenschaften und die Komplexität dieser Expedition aus: Alles lief simultan und synchron. Jeweils 100 Wissenschaftler:innen aus aller Welt waren gleichzeitig und in fünf Staffeln ganzjährig auf der “Polarstern” und der Scholle, die sie über das Nordpolargebiet driftete.

Die Forscher:innen am Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und ihre Partner:innen verfolgen mit MOSAiC das ambitionierte Forschungsziel, die klaffende Lücke in der Klimafolgenforschung zu schließen. In den Klimamodellen sollen statt Schätzwerten zukünftig konkrete, wissenschaftliche Daten eingesetzt werden und die Modelle so verbessert werden können.

Das ist gelungen! Die Messergebnisse stehen als offene Daten zur Verfügung via meereisportal.de. Wobei die Forscher:innen noch viele Jahre lang die Rohdaten aufbereiten und auswerten müssen. Diese Animation erklärt den hoch komplexen, umfangreichen Forschungslabor-Aufbau auf dem Forschungsschiff und der Eisscholle, mit der die Forscher:innen über die Arktis drifteten:

Ein Jahr. Ein Schiff. Eine Eisscholle.

Die Animation macht deutlich, wie wichtig und wertvoll das internationale Forschungsvorhaben für die Menschheit ist. Doch so richtig lebendig und verständlich wird die Expedition erst durch diesen Dokumentarfilm (2 Teile):

In mir lösen die Bilder und Erfahrungsberichte große Faszination – aber auch Klimaangst aus. Worauf steuern wir zu? Es ist (noch) möglich, umzusteuern. Wird es uns als Weltgemeinschaft gelingen? So beunruhigend und eindrücklich ich die Bilder finde, so sehr motivieren sie mich, EnjoyWork konsequent weiterzuverfolgen und das Thema in die Gesellschaft – vor allem in kleine und mittelständische Unternehmen, Kulturbetriebe und zu Freiberuflichen – zu tragen und den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaften und Praxis zu stärken.

Lass uns also noch tiefer in diese Expedition eintauchen:

Vorträge und Livebilder
von Bord der “Polarstern”

Wissenschaftskommunikation von seiner besten Seite

Sehr interessant sind die Vorlesungen von Bord der “Polarstern”. Vor Ort ist ständig ein Doku-Team dabei. Das heißt, bei allen Experimenten, bei sämtlichen Messungen und Aktionen schwingen stets die Fragen mit: Was machst Du da genau? Warum tust Du das? Wozu dient das? Was erfährst Du dadurch? In diesem kontinuierlichen Austausch sind die Forschenden herausgefordert, umfassend über ihre Forschungsarbeit nachzudenken, zu reflektieren, sie zu hinterfragen. Ich stelle mir das extrem anstrengend vor. Gleichzeitig erhöht es die Qualität der Forschung und öffnet den Raum für Wissenschaftskommunikation.

MOSAiC 2019-2020: Hinter den Kulissen <br>UFA-Film-Team: Manuel Ernst (li) und Dieter Stürmer (kniend)<br> Im Hintergrund Eisbrecher-Forschungsschiff

MOSAiC 2019-2020: Hinter den Kulissen
UFA-Film-Team: Manuel Ernst (li) und Dieter Stürmer (kniend)
Im Hintergrund Eisbrecher-Forschungsschiff "Polarstern"
[ 2020-04-20 Alfred-Wegener-Institut / Foto: Michael Gutsche ]

Arktische Prozesse und ihre Wirkung
auf das Klima der ganzen Welt

Nehmen wir als Erstes dieser exzellenten Vorlesungen die Einführung in die arktischen Prozesse. Sam Cornish, Wissenschaftler an der University of Oxford und dort Koordinator für das Polar-Forum, erläutert wie sie sich zusammensetzen und ineinandergreifen – und welche immense Wirkung die Arktis auf das weltweite Klima hat:

Bio-Geo-Chemie der Arktis

Besonders empfehlen möchte ich weiterhin den Einblick in die Bio-Geo-Chemie der Arktis, exzellent erklärt von Dr. Allison Fong. Es ist selten, dass ich Wissenschaftler:innen so gebannt an den Lippen hänge. Das ist Wissenschaftskommunikation von seiner besten Seite:

Es gibt noch viel mehr dieser spannenden Vorlesungen. Schau am besten in die Video-Sammlung des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI): MOSAiC Expedition und auf der Internetseite der Expedition unter Science, Stories und Polarstern Blog.

Faszination
interdisziplinäre Polarforschung

Mit diesem Wissen lass uns an den Ausgangspunkt zurückkehren: Das Gespräch von Josephine und Mitch von den S4F mit Verena vom AWI. Aufgeschlaut nun noch einmal den Podcast anhören, in dem sie über die unfassbare Logistik sprechen – wohlgemerkt unter den Bedingungen der weltweiten Pandemie COVID-19. Wirklich erstaunlich, was von allen im Rahmen der MOSAiC geleistet wurde! Ich ziehe tief meinen Hut.

MOSAiC 2019-2020: Polarstern im Meereis // Leg3
2020-03-08 Alfred-Wegener-Institut / Foto: Michael Gutsche

Pionier der Polar-Forschung und Preisträger des Friedensnobelpreises Fridtjof Nansen

Dabei profitierten die Forschenden von den Erfahrungsberichten des Polarforschers Fridtjof Nansen. Nansen und seine Schiffsmannschaft waren am 24. Juni 1893 in Oslo mit der von ihm eigens konstruierten “Fram” zu ihrer ersten Nordpol-Expedition aufgebrochen. Kapitän des Schiffs war Otto Sverdrup. 3 Jahre waren sie im Meereis unterwegs. Die Innovation war, dass sie sich verankert an einer Eisscholle über den Nordpol driften ließen – statt gegen das Eis anzukämpfen. Die “Fram”-Expedition macht Nansen und seine Crew zur Legende der Polar-Forschung.

Mehr zum Engagement des Humanisten und Flüchtlingskommissars Fritjof Nansen und wofür er den Friedensnobelpreis erhielt: Fridtjof Nansen: Nobel Peace Prize for Putting Compassion into Action (Animation des Nobel Peace Centers via YouTube).

Markus Rex // Portrait in voller Polar-Montur. Bild: cc Alfred-Wegener-Institut / Foto: Markus Rex (Selbstportrait)

Markus Rex // Portrait in voller Polar-Montur
[ 2018-02-02 Alfred-Wegener-Institut / Foto: Markus Rex (Selbstportrait) ]

Pionier der Polar-Forschung Markus Rex

Die “Fram”-Expedition wird 126 Jahre später zum Vorbild für “MOSAiC”. Und auch dieses Mal stechen Pioniere in See auf Entdeckungsreise. Denn erstmals soll es gelingen, den Nordpol im Winter zu erforschen – in der totalen Finsternis der arktischen Nacht bei Temperaturen bis zu minus 42°C. Eine enorme Herausforderung für Mensch und Maschine.

Wo Nansen und seine Crew noch drei Jahre unterwegs waren, sollte es der “Polarstern” innerhalb von knapp 13 Monaten – genauer: in 389 Tagen – gelingen, den nördlichsten Ozean unserer Erde mithilfe der Eisdrift zu überqueren. Sie stellten dabei den Rekord auf, tatsächlich den Drehpunkt der Erdachse im Norden zu erreichen.

Prof. Dr. Markus Rex, Leiter der Expedition, über die Motivation, die Hintergründe und den Forschungsauftrag kurz vor der Abreise im Juli 2019:

… und hier dann – ein Jahr später – im Oktober 2020 mit den Erkenntnissen und Eindrücken von der Expedition. Solltest Du bis hierhin meiner Reportage in allen Einzelheiten gefolgt sein, werden die ersten Minuten für Dich eine kompakte Wiederholung sein. Getrost kannst Du das überspringen und direkt bei 21’48’‘ einsteigen.

Fazit & Ausblick

Alle Forschenden, die komplette Schiffsmannschaft und das Begleitpersonal der MOSAiC sind gesund aus der Arktis zurückgekehrt. Sämtliche der 60 Begegnungen mit Eisbären sind glimpflich verlaufen – auch für die Polarbären. Alle Gliedmaßen sind intakt. Allein das ist eine enorme Leistung und ein starkes Zeichen, dass die Sicherheit an Bord an oberster Stelle stand.

Die anspruchsvollen Forschungsziele konnten trotz der Rückschläge, die COVID-19 mitsich brachte, alle umgesetzt werden. Ich denke, das kommt in den Dokumentationen gut rüber. Daher gehe ich hier nicht näher darauf ein. Die Ergebnisse werden nach und nach veröffentlicht: MOSAiC Publikationen und MOSAiC Science. An dieser Stelle noch einmal der Hinweis auf die weltweit freien Offenen Daten, was ich großartig finde: MOSAiC Data und meereisportal.de. Daten, die in ihrem Zusammenspiel noch nie dagewesen sind und erlebbar wurden.

Es bleibt schlussendlich, der außergewöhnlich starken Kooperation und Kollaboration des internationalen Forscher:innen-Teams zu gedenken. Menschen, die sich nicht kannten und in kürzester Zeit zusammenraufen mussten. 442 Entdecker:innen aus aller Welt mit unterschiedlichsten Forschungsschwerpunkten und Kompetenzen. Sie macht mir Mut. Mut, dass wir es als Weltgemeinschaft auf die Reihe bekommen, dem menschgemachten Klimawandel endlich mit der Entschlusskraft und Umsetzungsstärke zu begegnen, die notwendig ist, uns diesen wunderbaren Planeten in seiner lebenswerten Form zu erhalten.

Möge es uns gelingen!

In diesem Sinne: Bleib neugierig und sei wandelmutig!

Vielen Dank

… an all die Filmer:innen und Fotograf:innen dieser außergewöhnlichen Forschungsexkursion. Vor allem freue ich mich, dass Ihr Euer Film- und Foto-Material unter Creative Commonse stellt. In diesem Spirit stelle auch ich meine Zusammenfassung unter CC-BY-SA 4.0 international und unterstütze das Bestreben, dass MOSAiC weitere Verbreitung findet und Remixes des Wissens um Klimafolgenforschung entsteht.

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