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Paradigmenwechsel Führungskultur in Deutschland

Kulturstudie zu "Gute Führung" der Initiative "Neue Qualität der Arbeit" zeigt Handlungsbedarf

aktualisiert: 27.12.2018 · Franziska Köppe | madiko

Seit Oktober 2014 ist schwarz auf weiß in Zahlen, Daten, Fakten belegt, was wir im Rahmen der Initiative “EnjoyWork. Lebens- & Arbeitswelten mit Zukunft” bereits intuitiv spürten: Die Unternehmenskultur in Deutschland ändert sich. Vorbei die Zeit des Vordenkens und Anweisens, der Hierarchie und Planbarkeit. Führungskräfte stehen heute und zukünftig für prozess- und lösungsorientierte Ergebnisoffenheit, für Transparenz, Einfühlen und Kooperation.

nextpractice veröffentlichte seine repräsentative Kulturstudie “Gute Führung in Deutschland” seinerzeit im Rahmen der “Zukunft Personal”. Das Forscherteam leitete daraus 3 Bereiche für einen Werte-Konsens und 3 Stufen für den Wandel in Unternehmen ab. Hier fasse ich die Ergebnisse noch einmal zusammen, denn sie haben an Relevanz seither gewonnen und können uns als Vorbild für eine innovative Führungskultur und den gemeinschaftlichen (Such)Prozess zur Weiterentwicklung der Gesellschaft dienen.

Komplett überarbeiteter Fachbeitrag.
Erstveröffentlichung: 01.11.2014

Lesezeit ~ 11 min. (+ Videos 29 min + 23 min)

Foto: Active Walker Model for Trail Formation / Uni-Campus Stuttgart-Vaihingen
Dirk Helbing, Frank Schweitzer, Joachim Keltsch und Peter Molnar

Prof. Dr. Peter Kruse

Die kulturellen Kraftfelder von heute bestimmen die Realitäten von morgen. Die Ergebnisse der durchgeführten Interviews zeigen unmissverständlich, dass die Führungskultur in Deutschland bereits auf dem besten Wege zu einem Paradigmenwechsel ist.

Die kritisierte Renditefixierung der aktuellen Führungspraxis hat in den Wertvorstellungen der befragten Führungskräfte längst ihre Vormachtstellung eingebüßt. Die Bereitschaft, sich auf einen gemeinsamen Entwicklungsweg einzulassen, ist groß.

Noch fehlt es dem Zukunftsbild zwar an konkreter Ausgestaltung. Aber die Datenlage zeigt deutlich, dass die Chancen für einen intensiven gemeinsamen Diskursprozess zur Neudefinition von „guter Führung“ groß sind.

Prof. Dr. Peter Kruse

Geschäftsführer nextpractice GmbH

[ Foto: nextpractice GmbH ]

Unsere Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Technische Neuerungen bleiben nicht ohne Spuren auch in den Köpfen und Herzen der Menschen. Betriebliche Abläufe stehen in Frage, weil wir heute mehr Möglichkeiten für partizipative Entscheidungsprozesse, Kollaboration und Kooperation haben.

Betriebliche Grenzen verschwimmen. Systemgrenzen müssen können neu definiert werden. Wir sehen uns einer dynamischen, vernetzenden Arbeitswelt gegenüber, die hohe Fähigkeiten zur Selbstorganisation, zur Zusammenarbeit bis hin zur Selbststeuerung erfordert. Gleichwohl trägt diese Veränderung die große Chance für alle in sich, ein Leben im Arbeiten zurückzuerobern.

Um diesen Trend zu fördern, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2002 die Initiative Neue Qualität der Arbeit ins Leben gerufen. Unterstützt werden Studien und Projekte, die gesellschaftliche wie betriebliche Diskussionen und Veränderungen vorantreiben. Eines dieser Projekte war 2013 bis 2016 das „Forum Gute Führung” unter Leitung von Prof. Dr. Peter Kruse und Andreas Greve, Geschäftsführer der nextpracice GmbH aus Bremen. Ihr Ziel ist, “Führungsverantwortliche in Deutschland dabei zu unterstützen, Führungskonzepte neu zu denken, die den komplexen Anforderungen der modernen Arbeitswelt gerecht werden und Unternehmen zukunftsfähig machen.”

So beschäftigten sich die Wissenschaftler mit Fragen wie beispielsweise:
  • Wie agiere ich als Führungskraft im Sinne des Unternehmens und der Kundinnen und Kunden?
  • Wie verhalte ich mich gegenüber meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
  • Hat Führung eine gesellschaftliche Verantwortung?
  • Was sind also heute und morgen die Anforderungen an „gute Führung“?

Führung wird zu einem gemeinschaftlichen, gesamtgesellschaftlichen Suchprozess

Das eigentlich Dramatische sind die Änderungen in der Systemarchitektur. […] Es sind die Charakteristiken der Medien, die die wirkliche Änderung tragen. Da fehlen mir manchmal die Bewusstheit und die Wachheit diesbezüglich.

Wenn man sich anschaut, was wir gemacht haben, ist es dramatisch: Wir haben Vernetzung hochgetrieben. Wir haben globalisiert. Wir haben dafür gesorgt, dass die spontanen Aktivitäten aller Beteiligten geradezu explodieren. Wir haben viele Rückkopplungseffekte erzeugt. Und wo immer man das in Systemen tut, wo immer man die architektonischen Möglichkeiten in Systemen erhöht, haben wir eine Dynamik, die zum Nicht-linearen tendiert. Das heißt, die Vorhersagbarkeit dieser Welt bricht nach und nach in sich zusammen. Wir haben keine Situation mehr, wo man so richtig glaubt, planen zu können. […]

Das heißt, auch das Thema Führung kann nicht mehr mit fertigen Konzepten arbeiten. Dann wird hierarchisches Tun immer schwieriger. Wenn alle mich angucken und sagen “Wo geht die Reise hin?” und ich muss sagen “Lass uns mal gemeinschaftlich ausprobieren, wo die Reise hingeht.” Dann fragt man sich natürlich, was ist dann in diesem Kontext noch Führung.

Das heißt, die Experten dieser Welt – diejenigen, die sagen sollen wo es langgeht – stehen vor dem gleichen Dilemma . […] Alle Menschen haben gemeinschaftlich das Dilemma vor sich: maximale Nicht-Linearität, maximale Unvorhersagbarkeit in einer Komplexität, die wir vorher nicht gekannt haben. Das heißt, wir sind alle auf der Suche danach, wie gehen wir mit dieser Situation einigermaßen angemessen um. Das hat nicht nur was mit Führung zu tun. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Suchprozess, der hier stattfindet.

Prof. Dr. Peter Kruse

Geschäftsführer nextpractice GmbH

Im Gespräch mit dem nextpractice-forum erläutert Prof. Dr. Peter Kruse die Ergebnisse der Wertestudie “Forum Gute Führung”:

Werte-Konsens “Gute Führung” und Entwicklungsstufen für den Wandel

Aus diesen Grundüberlegungen und den Ergebnissen ihrer Studie leitete das Forscherteam 3 Bereiche für einen Werte-Konsens ab:
  • Hierarchie und Planbarkeit: Die Zeit des Vordenkens ist vorbei.
  • Ergebnisoffenheit: Führungskräfte lassen sich auf Unsicherheit und Führung als gemeinsamen Suchprozess ein.
  • Transparenz, Einfühlen und Kooperieren: Es sind die Voraussetzungen angesichts der komplexen Dynamik, die neue Wege eröffnen.
Daraus ergeben sich drei Stufen für den Wandel in Unternehmen:
  1. Aus Management wird Leadership
  2. Führung definiert Rahmenbedingungen und vermittelt Sinnzusammenhänge für eine wachsende Eigendynamik
  3. Einbetten der Unternehmensaktivitäten in einen stabilisierenden Werte-Kanon

Bevor wir uns die Werte und Entwicklungsstufen näher anschauen, lass uns zunächst einen Blick auf die Auswertung werfen, was die befragten Führungskräfte letztlich in der Studie als “Gute Führung” präferierten:

5 Präferenz-Typen
“Guter Führung”

Neben dem Fokus auf ergebnisoffene Prozesse, der von 100 Prozent der interviewten Führungskräfte angesprochen wird, ergeben sich anhand der individuellen Unterschiede in der inhaltlichen Verortung von „guter Führung“ fünf mathematisch eindeutig zu trennende Präferenztypen. Angesichts der Klarheit der inhaltlichen Schwerpunktsetzungen kann die quantitative Stärke der empirisch erzeugten Gruppen durchaus als eine erste grobe Schätzung der prozentualen Verteilung der Präferenzen bei den Führungskräften in Deutschland dienen.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

  • Typ 1 „Traditionell absichernde Fürsorge“ (13,5%)
  • Typ 2 „Steuern nach Zahlen“ (29,25%)
  • Typ 3 „Coaching kooperativer Teamarbeit“ (17,75%)
  • Typ 4 „Stimulation von Netzwerkdynamik“ (24%)
  • Typ 5 „Solidarisches Stakeholder-Handeln“ (15,5%)

Mehr als drei Viertel (77%) der Führungskräfte wünschen sich einen Paradigmenwechsel in der Führungskultur

Neben diesen fünf Führungstypen überraschte das Ergebnis in seiner Deutlichkeit was die Führungspraxis betrifft. Thomas Sattelberger nannte es “schizophren”: Die heutige Führungspraxis entspricht nicht mehr den Führungsanforderungen. Die 400 interviewten Führungskräfte sehen eine große Distanz zu den sich tatsächlich durch den Wandel der Arbeitswelt ergebenden Führungsanforderungen. Sie kritisieren eine seit Jahren bestehende Fehlentwicklung der Führungskultur. Sharehoder Value bestimmt nach wie vor die Führungspraxis. Und obwohl diese zunehmende Distanz sehr deutlich in den Köpfen der befragten Manager verhaftet ist, passiert die notwendige Änderung (noch) nicht.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

10 Kernaussagen
zu “Guter Führung”

Im Rahmen der Studie wurden 400 Tiefeninterviews durchgeführt. Die Chefs dienten als intuitive Expertinnen und Experten, um ein differenziertes Bild der Führungskultur in Deutschland zu zeichnen. nextpractice bezweckte auf diese Weise herauszufinden, welche unbewussten Wertvorstellungen und kollektiven mentalen Muster das Handeln der Entscheider bestimmen. Ferner ging es darum, wie vor diesem Hintergrund die tatsächliche Entwicklung der Führungspraxis bewertet wird und welche Herausforderungen die Befragten für die Zukunft erwarten. Daraus leiteten sie zehn Kernaussagen sowie die Roadmap zu “guter Führung” ab:

Selbstorganisierende Netzwerke
sind das favorisierte Zukunftsmodell.

Mehrheitlich sind die befragten Führungskräfte sicher, dass die Organisation in Netzwerken am besten geeignet ist, die Herausforderungen der zukünftigen Märkte zu bewältigen. Sie verbinden mit der kollektiven Intelligenz selbstorganisierender Netzwerke die Hoffnung, auf höhere Innovationskraft, mehr kreative Impulse, Beschleunigen der Prozesse und Verringern von Komplexität.

Prozesskompetenz
ist das aktuell wichtigste Entwicklungsziel.

Die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung von ergebnisoffenen Prozessen ist Schlüsselkompetenz von “Guter Führung”. Angesichts instabiler Marktdynamiken, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint den Befragten der Studie ein schrittweises Vortasten erfolgversprechender als die Ausrichtung an Langfristplanungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.

Flexibilität und Diversität
sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren.

Individuelle Zeiteinteilung und wechselnde Team-Konstellationen – das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen ist aus Sicht der Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Es ist in den Unternehmen angekommen, wie wichtig es ist, Unterschiedlichkeit zu fördern. Der Beitrag eines „typisch weiblichen Führungsstils“ zur Führungskultur wird äußerst positiv bewertet.

Hierarchisch steuerndem Management
wird mehrheitlich eine Absage erteilt.

Angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt sind Steuerung und Regelung für die Mehrzahl der Befragten nicht mehr angemessen. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Management-Werkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Die klassische Linienhierarchie wird überwiegend klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.

Kooperationsfähigkeit hat Vorrang
vor alleiniger Renditefixierung.

Traditionelle Wettbewerbsstrategien haben die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Mehr als die Hälfte der Interviewten geht davon aus, dass das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Lediglich 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren noch ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealbild von Führung.

Motivation wird an Selbstbestimmung
und Wertschätzung gekoppelt.

Persönliches Engagement wird mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole. Der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimmt den Grad der Einsatzbereitschaft der Menschen. So gehen die Befragten davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt.

Persönliches Coaching
ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung.

Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation ist es nicht mehr möglich, eigene Vorstellungen über Anweisungen durchzusetzen. So schwindet nach Meinung der Befragten der bislang selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Macht entfalten werde nur das, was bei anderen auch auf Resonanz trifft. Daher seien auf Seiten der Führung Einsichtsfähigkeit und Einfühlungsvermögen gefordert. Alle Akteure im Unternehmen bräuchten mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.

Gesellschaftliche Themen
rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Die Stakeholder-Perspektive eines Ausgleichs der Ansprüche und Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen erachten die Führungskräfte als wichtiger. Bereits über 15 Prozent der frei genannten Beschreibungen zu guter Führung beziehen sich auf Fragen nach gesellschaftlicher Solidarität und sozialer Verantwortung von Unternehmen.

Führungskräfte wünschen sich
Paradigmenwechsel in der Führungskultur.

Ohne eine grundlegende Änderung in der aktuellen Führungspraxis wird der Standort Deutschland weit unter seinen Möglichkeiten bleiben. Davon sind 3 von 4 Führungskräften überzeugt. Die Notwendigkeit zur Änderung der Führungskultur in Deutschland wird in vollem Umfang deutlich, setzt man die von den Interviewten retrospektiv gesehene Entwicklung der Führungspraxis seit 1950 in Relation zu den Führungsanforderungen von gestern, heute und morgen.

Bereits seit Jahren öffnet sich die Schere zwischen Praxis und Anforderungen immer stärker. Im Ringen um Bindung und Gewinnung von Talenten erweist sich der “typisch deutsche Führungsstil” als entscheidender Nachteil. Da ist sich der Großteil der befragten Führungskräfte sicher. Sie vermuten auch bei den Mitarbeitenden ein vergleichbar hohes Kritikpotenzial an der Führungsrealität in den Unternehmen.

Hohe Distanz zwischen Führungsanforderungen und gelebter Führungspraxis

nextpractice fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen:

Viele der 400 interviewten Führungskräfte sehen die Führungspraxis in Deutschland in großer Distanz zu den sich tatsächlich durch den Wandel der Arbeitswelt ergebenden Führungsanforderungen. Trotz der im europäischen Vergleich guten Wirtschaftslage sehen sie die Kriterien, die ihnen im Kontext „guter Führung“ wichtig sind, nicht einmal zur Hälfte verwirklicht (mittlerer Erfüllungsgrad 49,3 Prozent). Sie kritisieren eine seit Jahren bestehende Fehlentwicklung der Führungskultur. Die Situation sei mit einem anfahrenden Zug vergleichbar: Die Gefahr, den Anschluss zu verpassen, nehme kontinuierlich zu.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

3 Entwicklungsstufen
auf dem Weg in die Zukunft

Kommen wir auf die von nextpractice abgeleiteten Entwicklungsstufen von Guter Führung zurück:

Befragt wurden Führungskräfte aller Unternehmensebenen vom Vorstand über Bereichs- und Abteilungsleitung bis hin zu Teamleitung und Mitarbeitern in Teams. 119 Frauen und 281 Männer aller Altersstufen aus Handel, Fertigung, Dienstleistungen und anderen Branchen. Aus den ein- bis zwei-stündigen Tiefeninterviews leitet das Forschungsinstitut nun folgende Handlungsfelder auf dem Weg zu “guter Führung” ab:

Stufe 1:
Aus Management werde Leadership

In der ersten Stufe wechsele der Schwerpunkt des Führungshandelns von Effizienz und Ertrag zu Kreativität und Erneuerung. An die Stelle von Linienhierarchie, Ziele-Management und Controlling trete die flexible Organisation in dezentralen Teams, die als Treiber von Kreativität, Kooperation und Veränderung fungierten.

Geschäftsmodelle würden auf den Prüfstand gestellt. Der Schwerpunkt von Führung verlagere sich von instrumentell gestützten Führungssystemen zu Identitätsbildung, Team-Coaching und Empowerment. Aus Management werde Leadership.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

Stufte 2:
Führung definiert Rahmenbedingungen
und vermittelt Sinnzusammenhänge
für eine wachsende Eigendynamik

In der zweiten Entwicklungsstufe von „Guter Führung“ würden die Team-Strukturen zunehmend durch selbst organisierende Netzwerke ergänzt oder ersetzt. Mit der Nutzung sozialer Medien in der Kommunikation innerhalb des Unternehmens und nach außen nehme der direkte hierarchische Einfluss weiter ab.
Die Transformation zur Enterprise 2.0 erhöhe noch einmal deutlich die Selbstbestimmung der Mitarbeitenden und verringere die Kosten der Zusammenarbeit. Die Unternehmensprozesse würden beschleunigt und die Wahrscheinlichkeit kreativer Impulse steige weiter.

Ohne eine attraktive Vision und ohne verbindlich vereinbarte Regeln wachse aber das Risiko eines Verlustes an gemeinsamer Ausrichtung. Führung habe nun die Aufgabe, über die Definition von Rahmenbedingungen und die Vermittlung von Sinnzusammenhängen die wachsende Eigendynamik zu kanalisieren und eine Synchronisierung der Aktivitäten sicherzustellen.

Führung werde immer indirekter und Führungskräfte bräuchten selbst eine intensive, begleitende Reflexion, um den Anforderungen gerecht zu werden.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

Stufe 3:
Einbetten der Unternehmensaktivitäten
in einen stabilisierenden Werte-Kanon

Eine Konsequenz der Entwicklung sei in der dritten Stufe von „guter Führung“ die Einbettung der Unternehmensaktivitäten in einen stabilisierenden Wertekanon. Aus der „Wert-“orientierung der Shareholder-Value-Perspektive werde die „Werte-“orientierung eines solidarischen Stakeholder-Handelns.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

Werteraum „gute Führung“

Und welche Werte sind dabei gesellschaftlicher Konsens? Die Forscher haben sich die Mühe gemacht, die intuitiven Einschätzungen der befragten Führungskräfte zu verdichten:

Führungskultur im Wandel: Studienergebnisse Wertewelt Gute Führung. Bild: copy nextpractice GmbH

Führungskultur im Wandel: Studienergebnisse Wertewelt Gute Führung
[ 2014-06 nextpractice GmbH ]

Die mathematische Abbildung der kulturellen Großwetterlage fungiert als Bezugssystem für die Einschätzung und Analyse interessierender Details. Anhand des Bedeutungsraumes wird nachvollziehbar, welche Merkmale in der aktuellen Führungskultur abgelehnt werden, welcher Zielhorizont „gute Führung“ definiert und welche Aspekte den Führungskräften besonders wichtig sind. Die 74 positiv (grün) und negativ (rot) bewerteten Schlagwörter wurden aus ca. 4.600 frei formulierten Originalaussagen verdichtet.

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

Führungskultur im Wandel: Studienergebnisse Das soziologische Kraftfeld Gute Führung. Bild: copy nextpractice GmbH

Führungskultur im Wandel: Studienergebnisse Das soziologische Kraftfeld Gute Führung
[ 2014-06 nextpractice GmbH ]

Daraus wiederum leitet das Institut folgende Schwerpunkte ab:

Hierarchie und Planbarkeit

Hierarchisch dominierte Vorausplanungen werden mehrheitlich abgelehnt. Die Zeit des Vordenkens und Anweisens ist vorbei. Die klassische Linienhierarchie wird zum Auslaufmodell erklärt. Die Führungskräfte prognostizieren selbst organisierende Netzwerke als Organisationsform der Zukunft.

Ergebnisoffenheit

Alle 400 interviewten Führungskräfte benennen die Fähigkeit, mit ergebnisoffenen Prozessen umzugehen, als ein zentrales Merkmal von „guter Führung“. Der Bereitschaft, sich auf die Unsicherheit gemeinsamer Suchbewegungen einzulassen, wird signifikant höhere Bedeutung beigemessen als dem Management über Zielvereinbarung und Controlling.

Transparenz, Einfühlung und Kooperationen

Transparenz von Informationen, Integration unterschiedlicher Lebensentwürfe, empathische Einbeziehung von Mitarbeitenden und die Förderung übergreifender Kooperationen stehen weit oben auf der Wunschliste. Die Führungskräfte sind sich einig, dass einsame Entscheidungen und fertig ausgearbeitete Konzepte angesichts der komplexen Dynamik global vernetzter Märkte nicht mehr angemessen sind.

Zusammenfassung
und Ausblick

André Sobieraj

Wenn man sich die größten Stärken und größten Schwächen gelebter Führungspraxis vergegenwärtigt, haben wir auf der Stärken-Seite: Veränderungen anstreben, Kompetenzen gut einsetzen, langfristige Strategien verfolgen und klare Vorgaben, Disziplin, Profite steigern als gelebte Führungspraxis. Sie hören raus, das sind eher die Themen der Gruppe “Steuern nach Zahlen”, die sagen “Das machen wir gut. Da sind wir auf einem guten Weg.” Auf der anderen Seite, wenn man sich die Haupt-Schwächen anguckt, dann sieht man so was wie dedizierte Zielvorgaben, Gewinn-Maximierung, Autorität, Mitarbeiter als Werkzeuge einzusetzen. Wenn Sie so wollen, sind das die positiven und negativen Ausprägungen einer leistungsorientierten Gesellschaft.

André Sobieraj

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

Quelle: Ergebnispräsentation Gute Führung auf der Zukunft Personal 2014

[ Foto: nextpractice GmbH ]

Dies im Überblick die wesentlichen Ergebnisse der Kulturstudie. Wer es etwas detailierter mag: Im Rahmen der Zukunft Personal präsentierte am 16. Oktober 2014 André Sobieraj von der nextpractice GmbH die Ergebnisse und griff sich dabei gezielt einzelne Aspekte näher heraus:

Es ist nicht mehr der Einzelne, dem sich etwas darstellt. Sondern es ist offenkundig die Gruppe, das Ganze, die Kultur – das, was wir miteinander erzeugen, wirft diese Fragezeichen auf. Das heißt, unsere Kultur muss lernen, aus der klaren, individuellen Orientierung herauszutreten und sich selbst bewusst zu machen, dass wir in einem gemeinschaftlichen Suchprozess sind. […] Der Schritt vom Ich zum Kollektiv. […]

Begriffe wie Solidarität, Miteinander, Werte aushandeln – alles das steht plötzlich massiv im Raum, weil wir uns nicht mehr mit vorgegebenen Dingen mächtig machen lassen können. Wir sind angewiesen, uns ergebnissoffen auf Prozesse einzulassen. Und wir sind immer mehr dominiert durch die situative Dynamik. […]

Das heißt, das was entsteht, wird nicht durch das Individuum getrieben, sondern über die Möglichkeitsräume, die Erlaubnisräume, die wir im kulturellen Kontext erzeugen. […] Wir brauchen strukturierte Wahrnehmung von kulturellen Feldkräften. Das wird uns in die Lage versetzen, Zukunft wieder ein bisschen geordneter zu begegnen. […]

Wir sind in einer Situation, wo Führungskräfte sich ausgebremst fühlen durch die alte Rendite-Orientierung. Das Shareholder-Value-Konzept hat bereits negative Bewertungen auf der unbewussten Ebene. Das kulturelle Kraftfeld sagt, wir haben uns 20-30 Jahre lang (seit den 90ern) in eine völlig falsche Richtung entwickelt. […] Die Frustration, die die Menschen dabei empfinden, die in Führungsverantwortung sind, und diese Dissonanz merken, ist inzwischen riesengroß. […] Das heißt, sie machen etwas, das sie machen müssen, weil das Management-System ihnen das abverlangt. Sie sitzen in Kennzahlen-Orientierung, in Zielvereinbarung, […] Die Leute verstehen, dass es so nicht mehr weitergeht.

Das war die zentrale Erkenntnis. Wir haben mehr als 75%, die sagen: “Leute, wenn wir uns nicht neu orientieren, wenn wir nicht der Frage nachgehen, in welcher Gesellschaft wollen wir leben?” Dann finden wir keine Antworten mehr. Das heißt, hier ist eindeutig keine Problematik geeigneter Management-Methodik im Raum. Sondern es geht um die grundlegende Neuorientierung von Wirtschaften. […]

Hier passiert etwas, was eine Spannungslage erzeugt, die nicht zu Anfang schon Lösungen kennt. Es ist in erster Linie mal das Wahrnehmen dieser Spannungen. Und jetzt fängt meines Erachtens der Aushandlungsprozess in der Gesellschaft an: Wie gehen wir mit diesem Spannungsmuster um? Welche Möglichkeiten haben wir, um Umverteilungsprozesse zu machen. […] Am Anfang jeder Änderung – und das ist für mich ein neues Bewusstsein geworden – steht die Erkenntnis einer Notwendigkeit. Es steht die Reflexion. […]

Ich habe früher immer geglaubt, es muss eine Katastrophe da sein, also Angst verändert. Oder Faszination und Neugier, und das Neue muss schon ganz klar sein, damit sich die Leute auf den Weg begeben. Das ist, wenn man so will, ein sehr glücklicher Fall. Also wirklich etwas Neues beginnen zu können, bei dem man eine elaborierte Vision hat. Das ist schön, aber unserer Wirklichkeit nicht mehr adäquat.

Das, was mich fasziniert, ist, dass die Einsicht dem Erkennen nachläuft. Das heißt, die Leute haben es längst unbewusst erkannt und man muss ihnen nur zeigen, was ihr Erkenntnisprozess dort bereits ist und das in die Reflexion geben. Insofern liebe ich es, die Dynamik kultureller Kraftfelder sichtbar zu machen. Weil der gesellschaftliche Reflexionsprozess, der dann einsetzt, eine extrem verändernde Kraft ist. […]

Eigentlich kann man sich nur wünschen, auf der Basis einer gut ausgehandelten Wertestruktur in eine maximale Eigendynamik hineinzugehen. Wenn die beiden Dinge zusammenkommen, hat man so etwas wie ein soziales Gehirn. Und damit die Möglichkeit, intelligente Lösungen zu erzeugen.

Prof. Dr. Peter Kruse

nextpractice-Institut für Komplexität und Wandel gGmbH

In diesem Sinne: Lass(t) uns weiter gemeinsam unsere Reise des Verstehens und Gestaltens gehen und schauen, wohin uns die Reise führt.

Bleib neugierig,

Weiterlesen und Link-Tipps

Foto: Das Bild zeigt den Uni-Campus in Stuttgart-Vaihingen. Es macht recht deutlich Wunsch einer Planbarkeit und Wirklichkeit der tatsächlichen Wege menschlichen Wirkens. Sehr symbolisch auf den Punkt gebracht von André Sobieraj, nextpractice GmbH, im Rahmen seines Vortrags. Und somit soll es auch hier als Symbol für eine sehr interessante Studie und diesem Beitrag dienen.

Quelle: Forschungsprojekt Similarities Between Granular and Traffic Flow von Dirk Helbing, Frank Schweitzer, Joachim Keltsch und Peter Molnar

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