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Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen

Im Gespräch mit Dr. Gorgi Krlev / Centrum für soziale Investitionen & Innovationen (CSI)

veröffentlicht: 17.09.2019 · Franziska Köppe | madiko

Die Klimakrise ist längst eine reale Bedrohung für unsere Zukunft. Wir werden die Leidtragenden des Klimawandels sein. Auch politische Polarisierung und ein Brüchigerwerden unseres sozialen Zusammenhalts stellen Probleme dar, die es zu lösen gilt.

Die große Herausforderung ist dabei jedoch, dass es unendlich viele Stellschrauben gibt. Die Zahl der Menschen, die ihren Beitrag leisten wollen, steigt. Doch ist das, was wir tun, das Richtige? Ist es genug? Wie können wir das wissen?

Sprich: Wie können wir die Wirkung gesellschaftlicher Innovationen valide, aber praktikabel messen? Ist die Welt nicht zu komplex, zu unvorhersehbar und ungewiss, um eine Wirkungsmessung insbesondere in sozialen Fragen sinnvoll umzusetzen?

Oder gibt es vielleicht auch ganz andere Gründe, weswegen wir den Wert dessen, was wir tagtäglich (nicht) tun, bemessen sollten?

Foto: Gorgi Krlev | Centrum für soziale Investitionen & Innovationen (CSI)
Sebastian Weindel

Mit Blick auf Digitalisierung und Automatisierung, liegt die Zukunft menschlicher Arbeit darin, Dinge zu tun, die einem selbst und anderen helfen, sich zu entfalten. Das können Maschinen nicht.

Wenn klar ist, wo es hingehen soll und was man beitragen will, muss das artikuliert werden. Sonst findet Wandel nicht statt. Dabei ist es wichtig, Grenzen im Denken zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Staat und Familie zu überwinden.

Wirkung liegt im Zusammenführen dieser Bereiche, nicht in der Trennung.

Dr. Gorgi Krlev

Centrum für Soziale Investitionen & Innovationen (CSI)
Universität Heidelberg

Service für Querleser – die Kapitel im Überblick

Kurze Vorstellung

Warum es wichtig ist,
Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen
messbar zu machen

· Teil 1: Grundlagen & Nutzen ·

Nachhaltige Entwicklung
Die Dringlichkeit, aktiv zu werden, steigt

Mangelnde Fundierung der praktischen Arbeit
führt zu Green / White / Social Impact Washing

Wirkungsorientierung
Paradigmen-Wechsel zu einer sozial-ökologisch-finanziellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

Die Antwort auf die Frage
“Wie wollen wir leben und arbeiten?”
determiniert die gesellschaftliche Wirkung unseres Tuns


Wie es gelingt,
Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen
messbar zu machen

· Teil 2: Umsetzung in der Praxis ·

Instrumente der Wirkungsmessung

  • Analyse des „Social Return on Investment
    (SROI)
  • Kosten-Nutzen Rechnung
    („Cost-Benefit Analysis“)
  • Wohlergehen, Zufriedenheit oder Glück
    (Wohlfahrtsindikatorik)
  • Befähigungsansatz
    (Capability Approach)

Die Schwierigkeiten, soziale Wirkung zu erfassen

Benötigte handwerkliche Fähigkeiten und Kompetenzen im Unternehmen

  • Strategische Kompetenzen
    inklusive der Persönlichkeitskompetenzen und
    Kompetenzen zur Moderation von Reflexions- und Entscheidungsprozessen
  • Fähigkeit zum “Übersetzen” und Entwickeln
    … der Strategie in konkrete Aufgabenpakete
    und einen eigenen Navigationskompass für den Weg
  • Forschergeist & Operationalisieren
    Verhaltensänderungen umsetzen, Überblick verschaffen, Fortschritte überprüfen

Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen

· Teil 1 ·

Franziska

Guten Tag Gorgi und herzlich Willkommen bei EnjoyWork. Bevor wir in unser gemeinsames Thema einsteigen zunächst eine Vorstellung:

Du bist Diplom-Kaufmann (Universität Mannheim) und hattest Deinen Studienschwerpunkt auf Finanzen und internationales Management gelegt. Während und direkt nach Deinem Studium, 2010, stiegst Du als Projektmitarbeiter bei BASF SE im Bereich Nahrungsmittel ein. Der Schwerpunkt Eurer Arbeit lag dabei auf dem Thema “Versteckter Hunger” (Hidden Hunger), der die Verbesserung der Versorgung mit Mikronährstoffen, z.B. Vitaminen, zum Ziel hat. Von dieser Mangelernährung sind heute weltweit 2 Milliarden Menschen betroffen. Das war eine Deiner ersten Begegnungen mit “Social Business”.

Seither lässt Dich das Thema nicht los und Du beschäftigst Dich mit gesellschaftlichen Innovationen auch als Forscher. 2011 wurdest Du wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Social Investment (CSI) des Max-Weber-Instituts für Soziologie der Universität Heidelberg. Von 2013 bis 2017 promoviertest Du parallel bei Alex Nicholls und Jonathan Michie am Kellogg College der Universität Oxford. 2018 wurde Dir dort Dein PhD (Doktortitel) in “Business and Management” verliehen.

Seit 2018 bist Du Vollzeit zurück am CSI in Heidelberg und konzentrierst Dich in Deiner wissenschaftlichen Arbeit auf Unternehmertum, soziale Innovationen und Wirkungsmessung.

Soweit in aller Kürze ein grober Hintergrund zu Deinen Fachkompetenzen. Wenn Du Dich darüber hinaus beschreiben müsstest: Wer bist Du? Was macht Dich aus?

Gorgi

Ich bin extrem neugierig – unabhängig vom Thema. Wenn es Interessantes zu erfahren gibt, höre ich zu. Das ist wohl auch einer der Gründe, wieso ich Wissenschaftler geworden bin. Dinge zu hinterfragen, zu verstehen und zu verändern, treiben mich an. Leider sind einem dafür in der Wissenschaft oft enge Grenzen gesetzt. Daher suche ich den Austausch zu Praktiker*innen – egal ob das Unternehmer*innen, gesellschaftlich Engagierte oder politische Entscheidungsträger*innen sind. Auch versuche ich, Forschung und Lehre immer praxisrelevant zu gestalten.

Ganz besonders treibt mich um, wie wir gesellschaftliche Probleme adressieren können. Zum Beispiel wie wir Menschen mit Behinderungen, die sich unter Umständen als besondere Begabung herausstellen, für alle Seiten gewinnbringender ins Leben und die Arbeitswelt mitaufnehmen können. Integrieren als Begriff zu verwenden, fällt mir insbesondere im Hinblick auf soziale Teilhabe schwer. Denn er legt nahe, dass „die“ Zugang zu „unserem“ System finden müssen. Aber letztlich kommt es auf gute gemeinsame Lösungen an.

Das gilt genauso für ökologische Herausforderungen und die Bekämpfung von Armut. Die “Ziele für Nachhaltige Entwicklung” haben hierfür einen guten Rahmen gesetzt. Diesen müssen wir mit Leben, sprich mit konkreten Taten füllen. Ob das jetzt Kaffeekapseln aus Holzspänen sind, um Plastikmüll zu vermeiden, oder Ansätze, die in der Behandlung von psychischen Krankheiten auf die „Expertise“ von denjenigen setzen, die die Erkrankung erfolgreich überwunden haben – die Anwendungsfälle innovativen Denkens sind schier endlos.

Wir nennen das soziale Innovation, also Innovation, die den Menschen dient. Wir sehen in der Forschung täglich und an vielen Stellen Beispiele. Das fasziniert mich – vor allem die Frage: Wie machen wir das zum Standard? Denn daran mangelt es.

Zu viele hervorragende Projekte und Organisationen haben einen nur sehr begrenzten Wirkungskreis, nicht zuletzt, weil oft der Wissenstransfer oder Mittel zu Verbreitung fehlen. Das gilt es zu ändern.

Wir müssen darauf hinarbeiten, dass jede Organisation Nachhaltigkeit, gutes Arbeiten und einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zum Kern ihrer Strategie macht.

Ziele für Nachhaltige Entwicklung / Sustainable Development Goals / SDGs / Agenda 2030
Ziele Nachhaltige Entwicklung

Agenda 2030 · Weltzukunftsvertrag der Vereinten Nationen zur Transformation unserer Welt. Leitbild der “Sustainable Development Goals” (SDGs) ist es, weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren. Erreicht werden sollen die Ziele weltumspannend bis 2030. Die Verantwortung tragen wir alle.

2019-07-25 · Franziska Köppe | madiko

Nachhaltige Entwicklung –
Die Dringlichkeit, aktiv zu werden, steigt

Franziska

Es gibt immer mehr Menschen, die der Zerstörung der Natur begegnen und ihren eigenen Beitrag leisten wollen. Humanisten und Anhänger der Aufklärung melden sich in der Öffentlichkeit wieder stärker zu Wort. Sie wollen dies nicht nur als privates Engagement verstanden wissen, wo die Wirkung auf das persönliche Umfeld begrenzt ist. Sie wollen es insbesondere im beruflichen Kontext leben und die von Dir angesprochenen Ziele für nachhaltige Entwicklung umsetzen.

Zwischen Utopie und Dystopie – welchen Beitrag leistet aus Deiner Sicht Wirtschaft heute und in Zukunft für ein gutes Leben?

Gorgi

Wir sehen in beeindruckendem Maße, dass viele Menschen sich wieder für etwas engagieren, dafür auf die Straße gehen. Sie gründen Organisationen (Entre­preneure), die konkrete Lösungsansätze erarbeiten oder diesen Wunsch nach Wandel in Organisationen tragen (Intra­pre­neure). Unternehmen reagieren immer stärker auf ihren Druck. Der Begriff „Purpose“ oder „Sinn“ scheint aber mittlerweile schon fast so stark verbreitet, dass er inhaltsleer wird. Beziehungsweise wird er auf so viele unterschiedliche Arten und Weisen interpretiert, dass er eben für Alles und Nichts stehen kann.

Die NewWork- oder EnjoyWork-Bewegung muss dazu beitragen, klarer zu machen, worauf es ankommt. Interessanterweise sind kleine Unternehmen da den Großen oft voraus. Die Mitarbeiter*innen mögen zwar ein engeres regionales Wirkungsfeld haben, aber sie übernehmen oft vielfältigere und miteinander verknüpfte Aufgaben. Sie begleiten Produkte zum Beispiel nicht nur im ersten Schritt, sondern von „cradle to grave“ beziehungsweise immer öfter von „cradle to cradle“, wenn es darum geht, Produktlebenszyklen zu verlängern oder Produktbestandteile immer wieder zu verwerten. Das ist mit dem Wort „Circular Economy“ gemeint.

Auch wollen Mitarbeiter*innen immer mehr mitbestimmen. Das ist dann „Shared“ oder „Systems“ Leadership, also gemeinsame oder systemorientierte Führung. Wir sehen Beispiele demokratischer Organisationen, die als Kollektive funktionieren. Premium Cola ist ein Paradebeispiel, das ihr ja auch gut kennt. Da wird fast alles konsensdemokratisch diskutiert und abgestimmt, und zwar online. Verträge werden nicht geschlossen, sondern Geschäftsbeziehungen basieren auf Vertrauen.

Uwe Lübbermann

Ich brauch keinen Vertrag, eine vorläufig gültige Vereinbarung reicht. Die kann man dann ändern, wenn eine Seite unzufrieden werden sollte. Das ist genau der Moment, in dem man sie ändern sollte. Nur so hältst du die Partner*innen auf Dauer zufrieden und die Organisation als Ganzes stabil.

Uwe Lübbermann

Gründer und zentraler Moderator Premium Cola

Wenn Du mehr zu Uwes Ansatz hören magst, in diesem Fachbeitrag erklärt er, wie er mit Zufriedenheit in der Zusammenarbeit umgeht: Schwierige Gespräche moderieren: Es ist der Wille, lösen zu wollen

[ Foto: Augenhöhe Film und Dialog ]

Gorgi

An solchen Organisationen sehen wir, dass Soziokratie, also Organisationen ohne formale Führung, oder netzwerkbasierte Organisationen in der Praxis funktionieren. Natürlich klappt das nicht immer und überall. Und es gibt keinen guten Grund alles, was wir bisher haben über Bord zu werfen und in ein Extrem umzuschwenken. Aber wir sehen, dass gerade einiges in Bewegung ist und das sollten wir nutzen. Im Eröffnungsfilm des Skoll World Forum 2019 wurde ein treffendes Zitat verwendet, das Franz von Assisi zugeschrieben wird:

zitatinte: Franz von Assisi / Das Unmögliche. Bild: cc Franziska Köppe | zitatinte

zitatinte: Franz von Assisi / Das Unmögliche
[ 2019-08 Franziska Köppe | zitatinte ]

Tue erst das Notwendige,
dann das Mögliche,
und plötzlich schaffst du das Unmögliche.

Franz von Assisi

Gorgi

Es scheinen genug Menschen zu glauben, dass Elon Musk es schafft, uns auf den Mars zu schießen. Wieso dann nicht daran glauben, dass Organisationen stärker den Bedürfnissen der Menschen entsprechen können und soziale Probleme effektiv lösen?

Mangelnde Fundierung
der praktischen Arbeit

führt zu Green / White / Social Impact Washing

Franziska

Welchen Herausforderungen siehst Du Dich gegenüber?
 

Gorgi

Es ist schwer, einen effektiven Transfer von Wissenschaft in Praxis und Politik zu bewerkstelligen. Es gibt einige wenige Menschen, die Gehör finden. Mariana Mazzucato vom University College London ist so eine Person, auch weil sie polarisiert, wenn sie unterstreicht, dass fast alle Innovationsimpulse vom Staat herkommen und von der Privatwirtschaft später vereinnahmt werden.

Franziska

Interessant. Das nehme ich genau andersherum wahr, dass der deutsche Staat Zivil­ge­sell­schaft und Privat­wirt­schaft in der biologischen wie auch der digitalen Transformation ausbremst. Das zeigt sich aktuell doch gerade an der Bewegung rund um “Fridays For Future” oder auch “Entrepreneurs For Future” einschließlich der Proteste in Sachen Digitalisierung, wie beispielsweise der EU-Urheberrechtsreform und dem vielfältigen Engagement in Sachen Netzpolitik.

Gibt es hier einen Unterschied zwischen Deutschland und Großbritannien?

Gorgi

Ich glaube, der Unterschied besteht nicht zwischen Ländern, sondern zwischen dem Staat und Politik. Mit Deinen aktuellen Beispielen hast Du völlig Recht. Aber ich denke, das ist fehlgeleitete Politik.

Was mit der Innovationskraft des Staates gemeint ist, sind beispielsweise die Ergebnisse von In­­ves­­ti­­tionen in Grundlagenforschung und -entwicklung. Im technischen Bereich hat das zum Beispiel zu GPS, Touchscreens und sogar dem WWW geführt. Aber auch im sozialen und ökologischen Bereich sehen wir, dass massiver Wandel erst dann entsteht, wenn der Staat tätig wird, zum Beispiel in der Energiewende.

Den Handlungsdruck bauen wiederum andere, oft zivilgesellschaftliche Organisationen, über Jahre und Jahrzehnte auf. Ich hoffe, dass das auch in Sachen ökologischer Transformation und Digitalisierung gelingt.

Franziska

Stimmt natürlich – es gibt einen großen Unterschied zwischen Staat und Politik. Danke, das macht es verständlicher.

Und damit zurück zur Ausgangsfrage: Was braucht es, um den gesellschaftlichen Herausforderungen besser zu begegnen?

Gorgi

Eine stärkere Verzahnung von Staat und Privatwirtschaft mit der Forschung ist in vielen Bereichen von Nöten. Beispielsweise geben laut der KfW Studie “Sozialunternehmen Deutschland 2017” mittlerweile 9% der Gründer*innen an, primär eine soziale oder ökologische Zielsetzung zu verfolgen. Für 50% davon ist dieser Zweck sogar wichtiger oder genauso wichtig wie Geld zu verdienen.

Sozialunternehmen in Deutschland, Soziale Innovationen – mehr als die Verbindung von Gemeinwohl und Erwerbswirtschaft
Sozialunternehmen in Deutschland

Sozialunternehmer*innen erreichen soziale und / oder ökologische Anliegen unter Anwendung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips eines Unternehmens. Alles nur Romantik von unverbesserlichen Weltverbesserern? Weit gefehlt! Nicht nur, dass ihre Innovationen Leben und Arbeiten der Menschen in und mit der Natur verbessern, oftmals sind sie erfindungsreicher und am Markt erfolgreicher als konventionelle Unternehmensgründer. Ihr Erfolg zeigt: Gemeinwohl und Wirtschaftlichkeit stehen keineswegs im Widerspruch. Mehr noch: Werden die Prinzipien systematisch angewendet und praktiziert, entsteht ein Milliarden-Potenzial.

2019-07-08 · Franziska Köppe | madiko

Gorgi

Wir wissen aber viel zu wenig darüber, ob und wie sich die eigene Ambition tatsächlich in ein Unternehmen umsetzt, das einen tatsächlichen sozialen Mehrwert für die Gesellschaft bietet. Es ist auch nicht klar, ob das einfach eine Haltung ist, die während der Gründung besteht – also quasi jugendlicher Leichtsinn, der sich dann verflüchtigt, wenn das Unternehmen an Reife gewinnt.

Wenn man härtere Kriterien für den sozialen Zweck ansetzt (siehe unseren Beitrag zum RKW Magazin “Mehr WIR weniger – ICH)”, wie zum Beispiel den Gemeinnützigkeitsstatus einer GmbH oder AG (dann gGmbH oder gAG), schließt man unter Umständen sehr profitorientierte Geschäftsmodelle aus, die dennoch einen enormen sozialen Mehrwert generieren. Auticon, das Menschen mit Autismus unter anderem als Softwaretester einsetzt, ist beispielsweise hoch profitabel.

Gorgi

Andersherum haben wir eine immer besser werdende Wissensbasis darüber, was notwendig ist, um sozial innovative Lösungsansätze zu entwickeln und die Zusammenarbeit von Unternehmen, der Zivilgesellschaft und Wohlfahrt, und dem Staat zu fördern. Beispielsweise haben wir – übrigens im Unterschied zu kommerzieller Innovation – gesehen, dass eine starke lokale Einbettung wichtig ist und es mindestens einen Partner braucht, der bereits über eine feste Bindung an die Zielgruppe verfügt (mehr hierzu im Open Access Buch “Social Innovation – Comparative Perspectives”).

Auch sehen wir, dass die Kombination von Akteurskompetenzen den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern ausmacht, zum Beispiel bei der Arbeitsintegration von benachteiligten Jugendlichen. Dennoch agieren viele Organisationen zu oft alleine. Es gibt kaum Möglichkeiten, das zielgerichtet in die Organisationen zu tragen, geschweige denn so einen Prozess zu begleiten.

Gleichzeitig besteht bei mangelnder Fundierung, die Gefahr, dass von Unternehmen „Green-Washing“ oder „White-Washing“ betrieben wird. Sprich, dass sie eben nicht so verantwortungsvoll oder ökologisch sind, wie sie es vorgeben zu sein. Neu hinzugekommen ist „Impact-Washing“, was meint, dass Unternehmen, aber auch Nonprofit Organisationen oder Förderorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit weniger positive „Wirkung“ entfalten als gedacht (mehr dazu via Medium “Three elephants in the impact investing room”).

Unter anderem aufgrund prominenter Veruntreuungsskandale, wie dem von UNICEF, der im Jahr 2007 zutage getreten ist, sind Spender jedoch sehr wohl nicht nur daran interessiert, was mit ihren Geldern passiert, sondern wollen vor allem auch wissen, was das damit finanzierte Handeln für Konsequenzen hat.

Der Mangel an fundierter Information zu diesen Themen ist dem Umstand geschuldet, dass Entscheider wenige Kriterien für das Urteil „hop oder top“ wollen – und das am besten gestern. So einfach ist das aber nicht. Wenn wir es mit der Wirkungsdebatte ernst meinen, sollten wir das richtig machen oder es eben sein lassen.

Franziska

Nun steht die Kooperative EnjoyWork ja gerade dafür, Herausforderungen wie diese praktisch anzugehen, Realexperimente aufzusetzen und uns über Wissens- und Erfahrungsaustausch sowie die Kollaboration in der Umsetzung zu unterstützen. Daher frage ich direkt:

Was ist Dein Beitrag, dem Green-/White-/Social Imact-Washing mit Bildung und Aufklärung vorzubeugen? Woran arbeitest Du, um hier neue Erkenntnisse zu gewinnen, die wir dann gewinnbringend für das Unternehmen sowie die Gesellschaft nutzen können?

Wirkungsorientierung

Paradigmen-Wechsel zu einer sozial-ökologisch-finanziellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

Gorgi

Ich versuche zu erklären, wie und unter welchen Bedingungen soziale Innovation entsteht. Mich beschäftigen dabei Fragen wie beispielsweise:

  • Wie können wir die Wirkung sozialer Innovationen valide aber praktikabel messen?
  • Was brauchen Sozialunternehmen, um für Investoren, die auf Wirkung aus sind – sogenannte „Impact Investoren“ – interessant zu sein?

Das in die Praxis zu tragen ist meine Ambition. Das funktioniert nicht von heute auf morgen, klar. Konventionelle Rechnungslegung ist vergleichsweise simpel, da sie lediglich in der “Währung” Geld rechnet.

Viele Leute scheinen zu vergessen, dass bereits Bilanzen oder eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung ein gutes Jahrhundert gebraucht haben, um so auszusehen wie wir sie heute kennen. Da werden doch wohl einige Jahre für einen „wirkungsorientierten“ Paradigmenwechsel, inklusive eines integrierten sozial-ökologischen-finanziellen Reportings drin sein?

Franziska

Nun, es gibt ja innovative, auf sozial-ökologisch-finanziellen Kriterien beruhende Modelle. Sie sind nur (noch) zu wenig bekannt.

Ich denke da beispielsweise an die Gemeinwohl-Matrix, die von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung rund um Christian Felber erarbeitet und angewendet wird.

Oder auch an das von Gebhard Borck und mir entwickelte und in der Praxis erprobte Denkwerkzeug der WertVerträge, woraus sich innovative Honorarkonzepte, marktorientierte Gehaltssysteme bis hin zu “Schwarzer Schwan-Vereinbarungen” (als eine Königsdisziplin für Investitionen) ableiten lassen.

Bei Letzterem fokussieren wir uns im Wert auf den Nutzen, der durch die Kooperation und Kollaboration der Beteiligten und ihrem individuellen Anteil am Erfolg entsteht. Im Rahmen der Auftragsklärung wird dabei auch ein gemeinsames Bild davon entwickelt, wie sich dieser Erfolg definiert – was über den profanen Mammon hinausgeht. Wir betrachten so unter anderem, woran die Beteiligten diesen Wert bemessen bzw. woran sie erkennen, dass sie sich im Tun auf einem guten Weg befinden.

Gorgi

Richtig. Der Paradigmenwechsel betrifft nicht nur die Arbeit nach außen, sondern auch die Frage wie Unternehmen es schaffen, für ihre Mitarbeiter*innen attraktiv zu sein, Sinn zu schaffen und Erwerbstätigkeit und Privatleben ein besseres Zusammenspiel zu ermöglichen.

Die Herangehensweise, um festzustellen, ob etwas passiert, was passiert und wieso das eine funktioniert und das andere nicht, sind hier dieselben wie bei der Wirkung von Unternehmen in die Gesellschaft hinein. Wichtig ist die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen. Und auch die gewohnten Wege zu verlassen, sich auf Neues einzulassen.

Mir fällt als Beispiel der Service RockYourCompany! aus München ein. Sie helfen Unternehmen, passende Mitarbeiter und Auszubildende zu finden, sie zu halten und in ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Angeboten wird diese Dienstleistung vom Sozialunternehmen Rock Your Life! gGmbH, das mit innovativer Nachhilfe und Unterstützung für benachteiligte Schüler*innen gestartet ist. Es gibt denjenigen eine Chance, die ansonsten „durch das Raster“ fallen würden. Allerdings ist das kein Selbstläufer. Beide Seiten müssen in den Erfolg investieren, der oft auch die Einbeziehung der Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern erfordert.

Gorgi

Corporate Volunteering Programme oder pro bono Engagement von Mitarbeiter*innen kleinerer Unternehmen kann sozialen Initiativen die entscheidenden Ressourcen verschaffen, um neue Ideen umzusetzen, beispielsweise durch Rechtsberatung oder das zur Verfügung Stellen von Digitalkompetenzen. Es gibt vermehrt Plattformen, wie zum Beispiel Volunteer Vision, welche die Passung bei einer solchen Zusammenarbeit erhöhen wollen.

Gorgi

Alle genannten Beispiele erfordern Offenheit und die Bereitschaft, die „Sprache“ der anderen zu lernen. Die Bereitwilligkeit das zu tun steigt, aber es ist noch ein langer Weg.

Franziska

Was braucht es aus Deiner Sicht, damit dieser Weg leichter wird?
 

Die Antwort auf die Frage

“Wie wollen wir
leben und arbeiten?”

determiniert die gesellschaftliche Wirkung unseres Tuns

Gorgi

Ich rufe jede*n dazu auf, sich zu überlegen, was sie oder er tun und sein will, was ihr oder ihm bei der Arbeit wichtig ist. Mit Blick auf Digitalisierung und Automatisierung, liegt die Zukunft menschlicher Arbeit darin, Dinge zu tun, die einem selbst und anderen helfen, sich zu entfalten. Das können Maschinen nicht.

Wenn klar ist, wo es hingehen soll und was man beitragen will, muss das aber auch artikuliert werden. Sonst findet Wandel nicht statt. Dabei ist es wichtig, Grenzen im Denken zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Staat und Familie zu überwinden. Wirkung liegt im Zusammenführen dieser Bereiche, nicht in der Trennung.

Und wollen wir Wirkung schaffen – in Organisationen aber auch in die Welt hinein – dann müssen wir schauen ob und wie sie stattfinden. Und vor allem wie sie kontinuierlich verbessert werden kann. Herausforderungen gibt es genug.

Franziska

In der Tat! *lacht.

Lieber Gorgi, vielen Dank für das inspirierende Gespräch bis hier hin. Im zweiten Teil gehen wir der Frage nach, wie es gelingen kann, Wert und Wirkung gesellschaftlicher Innovationen messbar zu machen und welche Kompetenzen wir dafür im Unternehmen brauchen.

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